Vater Staat verliert jedes Jahr geschätzt 30 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung. Was die wenigsten glauben wollen: Es ist nicht selten der „kleine Mann“, der durch Tricks und Schummeleien Löcher in die öffentliche Kasse reißt. Alle Fakten über eine Art Volkssport.
Essen.
Schreinemakers, Schockemöhle, Zumwinkel – jetzt Hoeneß. Der Verdacht, dass Prominente ihre Millionen auf ausländische Konten schaffen, macht regelmäßig Schlagzeilen. Sie wecken Wut, mobilisieren die Politiker. Tatsache ist aber: Das Gros der Steuerhinterziehung passiert, erstens, im Inland. Und hinterzogen wird, zweitens, vor allem von vielen „kleinen Sündern“. Alle Fakten über eine Art Volkssport.
Was ist Steuerhinterziehung?
Eine Straftat nach Paragraf 370 der Abgabenordnung. Sie wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe geahndet. Zeigt der Täter sich selbst an, bevor die Behörden Wind von der Hinterziehung bekommen haben, geht er straffrei aus – natürlich ist die Nachzahlung der Steuern auch hier fällig.
Wie viel Steuern werden in Deutschland nicht bezahlt?
Der Staat sagt: Keine Ahnung. Aber die Steuergewerkschaft, in der die meisten der 4000 Steuerfahnder organisiert sind, schätzt den hinterzogenen Betrag auf 30 Milliarden Euro im Jahr.
Laut Statistischem Bundesamt werden jährlich um die 15.000 Steuersünder meist zu Geldstrafen verurteilt, in wenigen Fällen zu Haft. Bei der Zahl ist Vorsicht geboten. Denn die Grauzone ist riesig. Die meisten Verstöße werden nicht bekannt.
Gefängnisstrafen ab einer Million Euro
Wann muss ein Steuersünder ins Gefängnis?
Grob gesagt: Wenn er den Staat um einen Betrag gebracht hat, der über eine Million Euro liegt. Daran sollen sich die Gerichte halten, seitdem der Bundesgerichtshof im Januar 2012 die Grenze im Fall eines Augsburger Unternehmers festgelegt hat. Die BGH-Richter waren wohl erbost, dass selbst Steuersünder wie der frühere Postchef Klaus Zumwinkel, der eine Million hinterzogen hatte, 2009 nur zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und Geldbuße von einer Million verurteilt worden war.
Selbst im Fall der berühmten „Liechtenstein-CD“ mit mehr als 1000 Verfahren, die von der Bochumer Justiz abgearbeitet werden, musste bisher kein Beschuldigter in Haft.
Sind die spektakulären Fälle wie Zumwinkel und Hoeneß für die Staatskasse entscheidend?
Sie haben vielleicht eine Signalwirkung. Hinterzogen wird aber vor allem im Alltag – und durchaus von normalen Arbeitnehmern. „Die große Steuerhinterziehung findet im Inland statt“, erzählt ein erfahrener Fahnder, „bei der Einkommens-, der Gewerbe-, der Umsatzsteuer“. Besonders beliebt: Der Schummel rund ums Auto.
Wie geht das denn?
Drei Beispiele dazu:
Finanzbeamte wissen, dass bei der Angabe der Kilometer zwischen Wohnort und Arbeitsplatz massiv falsche Angaben gemacht werden. Aber die werden kaum nachgeprüft, da in den Finanzämtern normale Einkommensteuererklärungen nur noch durch den Computer laufen. „Menschen gucken in den Finanzämtern immer weniger in die Fälle. Eine vollständige Fallbearbeitung können sich unsere Kollegen ohne IT-Unterstützung nicht mehr erlauben“, sagt Manfred Lehmann, Chef der Steuergewerkschaft in NRW.
Oder: Zollfahnder stellen in letzter Zeit auffallend häufig fest, dass Lkw-Spediteure in ihre Fahrzeuge riesige Zusatztanks einbauen lassen. Bei den hohen Dieselsteuern sparen sie beim Tanken im Ausland viel Geld, obwohl sie nur in Deutschland transportieren, und unterschlagen auf diese Weise dem deutschen Staat die Energiesteuer. Auf Antrag des Oberlandesgerichts Düsseldorf prüft jetzt der Europäische Gerichtshof, welche Zusatztank-Einbauten noch erlaubt sind.
Es gibt auch den Verdacht, dass der Staat seit Jahren um einen erheblichen Teil der ihm zustehenden Kfz-Steuer gebracht wird. Der simple Trick: Steuerzahler geben falsche Kontodaten an oder längst überholte, und die Finanzämter können über Bankeinzugsverfahren nicht abbuchen. Da für sie unter einer bestimmten dreistelligen Summe ein mühsames Eintreiben nicht lohnt, geht der Staat auch hier leer aus.
Wo beginnt Steuerhinterziehung?
Schon bei den Zolldelikten. Denken wir an den früheren Nationaltorhüter Oliver Kahn. Er ist 2011 zu 125.000 Euro Strafe verurteilt worden, weil in seinem Koffer schicke Luxus-Kleidung gewesen ist, die er in Dubai preiswert erstanden und bei der Einreise nicht angemeldet hatte.
Bundesweit fehlen 2000 Steuerfahnder
Wie ernsthaft wird nach den Sündern gefahndet?
Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Gerade Bayern und bis vor kurzem Baden-Württemberg setzen kaum mehr Fahnder als das kleine Saarland ein. Das hat ihnen den Vorwurf eingetragen, bei Reichen geradezu „Werbung“ für einen Standort in ihrem Land zu machen. Tatsächlich fehlen wohl bundesweit 2.000 Fahnder, die ihr Beamtengehalt bei einem persönlichen „Jahresertrag“ von einer Million Euro spielend wieder reinholen.
Manches Vorgehen der Steuerfahndung ist auch umstritten. Dazu gehört nicht nur der Kauf von Daten aus dem Ausland, die ja gestohlen sind. Auch im Inland, kritisiert der Bundesfinanzhof, begleiteten unter anderem in Westfalen Steuerfahnder ganz normale Finanzbeamte bei Hausbesuchen. Sie würden sich dort ohne einen Durchsuchungsbefehl umgucken. Der Finanzhof hält diesen „Flankenschutz“ für rechtlich fragwürdig.