Veröffentlicht inPolitik

Grünen-Fraktion richtet erstes Kinderzimmer im Landtag ein

Grünen-Fraktion richtet erstes Kinderzimmer im Landtag ein

104941861.jpg
Familie und Politik wird bei jungen Abgeordneten zur neuen Normalität. Darauf reagieren nun die Grünen im NRW-Landtag mit einer außergewöhnlichen Idee.

Düsseldorf. 

Als Verena Schäffer neulich den Kinderwagen an den Saaldienern vorbei in das Plenarrund des Düsseldorfer Landtags navigierte, wurde die innenpolitische Sprecherin der Grünen unverhofft Zeugin einer Zeitenwende.

Sitzungsleiter Eckhard Uhlenberg, ein 68-jähriger CDU-Politiker und westfälischer Landwirt, richtete den Blick sofort auf Schäffer und ihre neun Monate alte Tochter und unterbrach die Tagesordnung. Folgte nun der erwartete Hinweis auf die Hausregeln?

„Bevor ich der Landesregierung das Wort gebe“, sprach Uhlenberg präsidial ins Mikrofon, „möchte ich auch die Tochter von Frau Schäffer sehr herzlich begrüßen. Es ist wohl nur folgerichtig, heute beim Thema Lehrerfortbildungsgesetz auch an die nächste Schülergeneration zu denken.“ Das Protokoll verzeichnete Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank.

Andere Parteien könnten bald nachziehen

Kind und Politik ist in Düsseldorf ganz offensichtlich auf dem Weg, zu einer neuen Normalität zu werden. Im Landtag wurde jetzt erstmals auf dem Flur der Grünen-Fraktion ein Kinderzimmer eingerichtet, damit Abgeordnete und Mitarbeiter zwischen Sitzungen und Telefonaten mit dem Nachwuchs auf dem Spielteppich liegen können. Bisher nutzen es nur die Grünen. Andere Parteien ziehen möglicherweise nach.

Schäffers Tochter rollt sich fröhlich über den Boden und begutachtet die Bauklötze. Schäffer hockt im Sommerkleid daneben. „So friedlich ist sie nicht immer.“ Im Fraktionsvorstand konnte es zuletzt auch mal lauter werden. Die Zähne. Gestört hat es keinen.

Für Steinbrück hatte der Kinderwagen nichts in der Politik zu suchen

Das war 2003 noch vollkommen anders. Der damalige Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) warf die heutige Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) aus dem Koalitionsausschuss, weil sie in einem Betreuungsengpass ihren Säugling mitgebracht hatte. „Peer Steinbrücks Haltung war: Kinderwagen haben in der Politik nichts zu suchen“, sagt Steffens. Heute seien Politik und Wirtschaft weiter.

Verena Schäffer (29) profitiert davon, Jung-Väter wie die Abgeordneten Matthi Bolte (Grüne) und Marc Lürbke (FDP) auch. „Junge Eltern und Politik muss vereinbar sein“, sagt sie. Das Kind schärfe auch den politischen Blick auf Themen wie Kita-Plätze oder Hebammen. Seit der Geburt ihrer Tochter mutet sich die Wittenerin einiges zu. Als Fraktionsvize, Innenpolitikerin und Expertin im Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie beackert sie eines der arbeitsreichsten Felder in Düsseldorf.

Wenn Schäffer im Parlament spricht, schiebt ihre Mutter oder eine Freundin den Kinderwagen am Rhein entlang. In Sitzungspausen wird gestillt oder gespielt. Das neue Kinderzimmer im Landtag bietet die Möglichkeit, auch an stressigen Tagen mit ihrem Baby Normalität zu leben.

Kollegen springen in der Wickelpause am Rednerpult ein

Schäffer muss sich beweisen, die Grünen gelten bei der Listenaufstellung zur Landtagswahl 2017 als wenig mitfühlend. Wer es nicht bringt, rutscht schnell aus dem Parlament. Über mangelnde Unterstützung will sich Schäffer dennoch nicht beklagen. Trotz des internen Konkurrenzkampfes vertreten sie Kollegen kurzfristig am Rednerpult, wenn sie gerade die Tochter wickeln muss.

Politik ist familienunfreundlich, weil es ein Rund-um-die-Uhr-Betrieb ist. Doch Schäffer fühlt sich dennoch privilegiert: „Andere Mütter in meinem Alter verdienen nicht so viel Geld, können sich keine Betreuung leisten, sind nicht ihr eigener Chef wie ich.“