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Gerüchte zu Stasi-Vergangenheit von Joachim Gauck sind haltlos

Gerüchte um Stasi-Vergangenheit von Gauck sind haltlos

Seit der Ernennung Joachim Gaucks zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten brodelt die Gerüchteküche. Er habe sich nicht gegen das Regime gewandt, sondern sogar für die Stasi gearbeitet, heißt es etwa in sozialen Netzwerken im Internet. Der Wahrheit entsprechen diese Vorwürfe aber nicht.

Berlin/Rostock. 

Seit der Ernennung Joachim Gaucks zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt brodelt die Gerüchteküche. Dass die Linke den Gründungsvater der Stasi-Unterlagen-Behörde ablehnt, ist keine Überraschung. Verwundern tut eher die Schärfe der Polemik, wenn der Bundestagsabgeordnete und frühere Stasi-Zuträger Diether Dehm den Wechsel im höchsten Staatsamt mit den Worten „vom Schnäppchenjäger zum Menschenjäger“ kommentiert.

In Kreisen der früheren DDR-Opposition stößt man sich wiederum daran, dass Joachim Gauck heute als Revolutionär und Freiheitskämpfer gewürdigt wird. Er verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der Kirche und sei kein Vater der Revolution gewesen, meint der frühere Pfarrer und Mitbegründer des Neuen Forums, Hans-Jochen Tschiche. Die Öffentlichkeit behänge ihn mit Würdigungen, „die er nicht verdient“. Im Netz wird das designierte Staatsoberhaupt gar als „williger Vollstrecker der SED-Herrschaft“, „Stasi-Begünstigter“ und als „wendiger Pastor“ mit einer „ungeklärten Stasi-Vergangenheit“ diffamiert.

Erste Gerüchte von der Stasi gezielt gestreut

Aus dem Operativvorgang (OV) „Larve“, den die Stasi 1983 gegen den damaligen Rostocker Jugendpfarrer Joachim Gauck einleitete, um seine „antisozialistisch-feindliche Wirksamkeit“ einzudämmen, versuchen Gegner heute einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) „Larve“ zu konstruieren, der für seine Kooperation mit einem VW Bus belohnt worden sein soll. Auch wird immer wieder behauptet, dass Gauck seine Akte des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) habe „säubern“ können.

David Gill kennt ähnliche Gerüchte aus den neunziger Jahren. Der erste Sprecher der Behörde und heutige Oberkirchenrat erinnert sich dunkel, dass sie aus Stasi-Kreisen gezielt gestreut wurden. Der letzte DDR-Innenminister und heutige Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel (CDU) nahm sie später dankbar auf und behauptete, Joachim Gauck sei „Begünstigter im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes“, nach den Maßstäben der Behörde also eher Täter als Opfer.

Gauck bezeichnete die Stasi als „Pack und Gesindel“

Diestel gehörte schon im Kabinett von DDR-Regierungschef Lothar de Maizière (CDU) zu den Gegnern einer Aktenöffnung. Seine Antipathie gegen die von Gauck aufgebaute Behörde dürfte später noch gewachsen sein, da sich seine Kanzlei auf die Vertretung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern und Sportlern mit Doping-Vergangenheit spezialisiert hat. Diestel hat nach juristischen Auseinandersetzungen mit Gauck im Jahr 2000 die Vorwürfe jedoch nie wiederholt.

In diesem Zusammenhang wurden auch die MfS-Unterlagen des Behördenleiters Gauck öffentlich. Die fast 200 Seiten starke, vollständig erhalten gebliebene Opferakte skizziert einen Mann, der den SED-Staat mutig von der Kanzel herab attackierte, die Stasi schon mal als „Pack und Gesindel“ beschimpfte. Etliche Spitzel setzte das MfS auf den Stadtpfarrer an, der damals eher als Einzelkämpfer und fern von Ost-Berlin, Leipzig und Dresden, den Zentren der DDR-Opposition, auftrat.

Gaucks Söhne verließen die DDR

Zugleich versuchte er, wie viele andere Bürgerrechtler, pragmatisch auf Ausreisewillige einzuwirken, der DDR nicht den Rücken zu kehren – weshalb die Stasi zwischenzeitlich sogar erwog, ihn als IM anzuwerben. Die Ausreise seiner beiden Söhne, denen wie den meisten Pastorenkinder der Zugang zur Erweiterten Oberschule untersagt wurde, konnte er gleichwohl nicht verhindern. „Ich sah meine Aufgabe in der DDR“, erklärte Gauck später, „und ich sah auch die Möglichkeit einer Veränderung von innen heraus.“

Als in den Städten im Süden der DDR schon Tausende Bürger auf die Straße gingen, formierte sich auch in Mecklenburg zaghaft der Protest. Joachim Gauck, der die Friedensgebete in der Marienkirche leitete, hielt dort auch die Rede vor der ersten Demonstration in Rostock. „Er trat couragiert auf und leistete viel Überzeugungsarbeit bei persönlichen Ansprachen. Denn viele Menschen waren doch anfangs sehr zögerlich und ängstlich“, erinnert sich Harald Terpe. „Er konnte sehr gut aufnehmen, was die Leute bewegte, und daraus Forderungen ableiten.“ Der Mediziner, der lange Zeit als Oberarzt in der Hafenstadt arbeitete und seit 2005 Mitglied des Bundestages für die Grünen ist, hat mit Gauck damals nicht nur die Demonstrationen organisiert.

Nervenstark und konsequent

Vor allem ging es im Herbst 1989 darum, Freiräume für die Opposition zu schaffen. In den Gesprächen mit den Vertretern der SED-Bezirksleitung hat Terpe Gauck als besonders „nervenstark, sehr konsequent und nicht nachgebend“ erlebt. In Verhandlungen habe er eine viel größere Stärke demonstriert, als die Bürgerbewegung damals in Wirklichkeit hatte. „Die Unsicherheit der Mächtigen war zu dieser Zeit ein großes Pfund. Und Joachim Gauck hat mit seinem selbstbewussten Auftreten dazu beigetragen, dass wir damit wuchern konnten“, erinnert sich der frühere Sprecher des Neuen Forums für den Bezirk Rostock.

Denn in Wirklichkeit waren es in der Hansestadt nur wenige Aktive, „und eine schweigende Mehrheit, die uns Glück wünschte“.