Die deutschen Volksparteien leiden stark unter dem Mitgliederschwund. Eine Kehrtwende sei aber möglich, ergab eine Studie der Uni Duisburg-Essen.
Essen.
Den etablierten Parteien laufen die Mitglieder davon. Daran sind die Parteien zum Teil selbst Schuld, sagt der Essener Politikwissenschaftler Prof. Nicolai Dose, der mit Anne-Kathrin Fischer beispielhaft die Mitgliederstruktur der SPD untersucht und aktive sowie ehemalige Mitglieder befragt hat. Die Studie zeige aber auch: „Die Entwicklung lässt sich umkehren.“
Was macht die Parteispitze falsch?
Prof. Nicolai Dose: In unserer Befragung wurde deutlich, dass die Mitglieder einsame Entscheidungen der Parteispitze ablehnen. Sie wollen mitgenommen werden. Dazu passen die manchmal abgehobenen Entscheidungen des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nicht.
Sorgt das für Frust an der Basis?
Prof. Dose: Wenn sich Gabriel über wichtige Strömungen in der Partei hinwegsetzt, wie dies lange Zeit bei den Handelsabkommen TTIP und noch immer bei CETA der Fall ist, dann löst dies Frust aus. Mitglieder wollen mitentscheiden, nicht nur Inhalte an der Basis vertreten müssen, die sie nicht beeinflussen konnten. Hinzu kommt, dass Gabriel seine Meinung schneller ändert als die Mitglieder dies nachvollziehen können. Das bereitet vor Ort Probleme, wenn Dinge, die gestern noch gegenüber dem Bürger vertreten wurden, nicht mehr gelten.
Gibt es immer noch Verärgerung über die Agenda 2010?
Prof. Dose: Sehr viele Mitglieder sind wegen der Agenda 2010 ausgetreten, andere sind zähneknirschend geblieben. Damals wie heute scheinen politische Positionen, die gegen sozialdemokratische Grundüberzeugungen verstoßen, dem Machterhaltungskalkül geopfert zu werden. In diesem Punkt sind die Mitglieder sehr empfindlich.
Gibt es in der anderen Volkspartei CDU eine ähnliche Entwicklung?
Prof. Dose: Auch in der CDU gibt es große Unzufriedenheiten. Wir haben die CDU nicht systematisch untersucht, aber wir wissen, dass es innerhalb der CDU große Probleme mit dem fast sozialdemokratischen Kurs der CDU gibt. Nicht umsonst wird Merkels Flüchtlingspolitik stärker von den Grünen als von der eigenen Partei unterstützt. Die CDU ist insgesamt stärker von der Wählerwanderung zur AfD betroffen als die SPD.
Wie kann die Partei ihre Mitglieder besser an sich binden?
Prof. Dose: Inhaltliche Politikwechsel sollten in einem ergebnisoffenen Meinungsbildungsprozess organisiert werden, um die Parteispitze nicht von der Basis zu entfremden. Dazu gehört auch, dass den Mitgliedern auf überörtlicher Ebene verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollten. Dies könnte dazu beitragen, dass die SPD-Mitglieder gerne für die Inhalte der offiziellen Parteilinie und das Berliner Spitzenpersonal eintreten.
Und wie könnte die Partei neue Mitglieder gewinnen?
Prof. Dose: Mitbestimmungsmöglichkeiten machen eine Partei attraktiv. So hat sich gezeigt, dass der Mitgliederentscheid der SPD über die Annahme des Koalitionsvertrages für viele Noch-Nichtmitglieder attraktiv war und sie in die SPD eingetreten sind. Das unterstreicht die Bedeutung von echten Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Partei. Auch auf örtlicher Ebene sollten die Mitbestimmungsmöglichkeiten für Parteimitglieder ausgeweitet werden. Hierzu gehört eine weitreichende Transparenz und eine Offenheit der Entscheidungsverfahren. Parteimitglieder müssen erfahren können, dass sich ihr Einsatz für die Partei und ihre Ziele lohnt und in Veränderungen niederschlägt.
Ist die Arbeit in den Ortsvereinen zu frustrierend?
Prof. Dose: Unsere Studie zeigt, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der Mitglieder zu verstärkter und aktiver Mitarbeit bereit wäre, aber es ihnen nach eigener Einschätzung an Erfahrung und Qualifikation fehlt. Diese Mitglieder gilt es mitzunehmen. Ihnen sollten Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden, und sie sollten behutsam an neue Aufgaben herangeführt werden. Insgesamt sollte die Mitarbeit in den Ortsvereinen attraktiver gestaltet werden, weshalb man unter anderem das traditionelle Format der Parteiversammlung hinterfragen sollte. Es zeigt sich also, dass Parteien dem Mitgliederschwund nicht hilflos ausgesetzt sind, sondern dass es Maßnahmen gibt, um dem entgegen zu wirken.