Wenn man wissen will, wie sich ein Shitstorm anfühlt, muss man Friedrich Merz (66/CDU) fragen. Von den Reaktionen durchgeschüttelt, hat er sich mittlerweile für seine Äußerung entschuldigt. Doch was ist dran, an seinem Vorwurf? Die Chronik eines Skandals:
Der Aufreger: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine, von denen sich mittlerweile eine größere Zahl dieses System zunutze machen. Da haben wir ein Problem, das größer wird“, sagte Friedrich Merz im BILD-Talk „Die richtigen Fragen“.
Die Reaktion: Es ergoss sich ein riesiger Eimer der Empörung über den 1,98 Meter großen Sauerländer. So twitterte etwa Grünen-Chefin Ricarda Lang: „Wie passt es eigentlich mit der viel beschworenen Solidarität der Union mit der Ukraine zusammen, dass Friedrich Merz im Kontext von Menschen, die vor diesem furchtbaren Angriffskrieg fliehen, von ‚Sozialtourismus‘ spricht?“
Innenministerin Nancy Faeser (52, SPD) twitterte: „Stimmungsmache auf dem Rücken ukrainischer Frauen und Kinder, die vor Putins Bomben und Panzern geflohen sind, ist schäbig. „Sozialtourismus“ war 2013 das Unwort des Jahres – und ist auch 2022 jedes Demokraten unwürdig“. Solche Reaktionen ließen sich beliebig lange fortführen.
Die Entschuldigung: Dass das Wort „Sozialtourismus“ nicht angemessen ist, hat offenbar auch der CDU-Parteivorsitzende eingesehen. Auf Twitter entschuldigte sich Merz:
Was ist am Vowurf dran? Durchaus kursieren derzeit Gerüchte, dass Flüchtlinge aus der Ukraine das Sozialsystem hierzulande unterlaufen würden. So macht seit dem 8. September auf Whatsapp eine Sprachnachricht die Runde, in der ein Mann behauptet, dass Ukrainer Sozialbetrug begehen würden.
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Sie würden mit dem Flixbus nach Deutschland kommen, ohne hier eine Meldedresse zu haben, Hartz IV beziehen und sofort wieder in die Ukraine zurückfahren, wie „CORRECTIV“ über das Netz-Gerücht berichtet. „Die Ämter“ seien angewiesen, wegzuschauen und würden den Betrug dulden. Die Informationen sollen von seinem Nachbarn „Frank“ beziehungsweise dessen Sekretärin „Irina“ stammen.
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Merz: „Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems“
Auf Nachfrage von „CORRECTIV“ bei Flixbus, dem Ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Arbeitsagentur, was dort über den angeblich breit angelegten Betrug bekannt sei, konnte keine der befragten Stellen die Geschichte bestätigen oder hatte Hinweise auf solche Vorfälle.
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Zumindest dieser Vorwurf ist somit widerlegt. Merz‘ selbst nennt keine Quellen oder Belege. „Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems“, schreibt er jetzt auf Twitter. Damit will er die Geschichte offenbar auch beendet wissen. Auf Nachfrage unserer Redaktion verlautbarte Merz‘ Pressesprecher , dass er seine Aussagen inzwischen eingeordnet und sich entschuldigt habe und damit das Thema aus seiner Sicht erledigt sei. (jfo)