Sarah P. stammt aus dem Sauerland. Sie wurde mit Hilfe einer Samenspende gezeugt. Nun klagte sie, um den Namen des biologischen Vaters zu erfahren. Das Oberlandesgericht Hamm gibt der 21-Jährigen Recht.
Hamm.
Als die 21-jährige Sarah P. den Saal betritt, in dem der XIV. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm an diesem Tag das lang erwartete Urteil im „Samenspende-Prozess“ verkünden wird, ist sie augenblicklich von Kamerateams umlagert. Groß ist das Interesse, denn das Urteil hat Signalwirkung. Erstmals in Deutschland hat mit Sarah P. das Kind eines anonymen Spenders geklagt, weil es den Namen des Vaters erfahren will – und am Mittwoch vor dem OLG Hamm in zweiter Instanz Recht bekommen.
Die Entscheidung ist wegweisend. Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, so erläutert der vorsitzende Richter Thomas Vogt das Urteil, stehe eindeutig über dem Interesse des beklagten Essener Reproduktionsmediziners Dr. Thomas Katzorke, der den Spendern Anonymität zugesagt hatte. Laut Urteil sei dieser Vertrag unzulässig, verstoße er doch gegen die Interessen des Kindes. Da Mutter und sozialer Vater der 21-Jährigen mit der Klage einverstanden seien, gelte es nicht mehr, deren Geheimhaltungsinteressen zu wahren. Somit könne sich der Mediziner auch nicht auf seine ärztliche Schweigepflicht berufen. Gegen dies Urteil ist keine Revision zulässig.
Ob Katzorke den Namen des Samenspenders allerdings nennen und der 21-jährigen Geschichtsstudentin ohne weiteres Akteneinsicht gewähren wird, ist unklar. Bereits in einer früheren Befragung hatte Katzorke, der zur gestrigen Urteilsverkündung nicht erschien, erklärt, die Akten seien nicht mehr auffindbar, sich dann jedoch in Widersprüche verstrickt. So ist wohl zu erklären, dass Richter Thomas Vogt betonte, Katzorkes Aussage sei unglaubwürdig.
„Ich bin erleichtert und glücklich“
Sarah P. sagte nach dem Verkündungstermin, sie sei „sehr erleichtert und glücklich“. Was sie mit dem Richterspruch tun wird? „Meine Mandantin hat Dr. Katzorke oft genug nach dem Namen gefragt“, so ihr Berliner Anwalt Markus Goldbach, „noch einmal wird sie das nicht tun.“ Vielmehr wolle man das Urteil nun vom zuständigen Landgericht in Essen vollstrecken lassen.
„Wenn Dr. Katzorke die Namen dann nicht nennt, drohen ihm Zwangsgeld oder bis zu sechs Monate Zwangshaft“, so Goldbach weiter. Es sei davon auszugehen, dass nun weitere Spenderkinder unter Berufung auf das Grundsatzurteil klagen würden. In Deutschland leben mehr als 100 000 Spenderkinder, von denen etwa 30 000 in Katzorkes Essener Klinik gezeugt wurden.
Katzorkes 1981 gegründete Reproduktionsklinik „novum“ gilt seit den 1980er Jahren als eine der größten bundesweit. So hat die Klinik längst ein differenziertes Angebot auch für Interessenten mit Migrationshintergrund. Vornehmlich an Universitäten rekrutiert der Arzt potenzielle Väter, deren wesentliche äußere Merkmale wie Augen, Haut- und Haarfarbe mit denen des sozialen Vaters übereinstimmen sollen.
Der Nebenverdienst ist bei Katzorke auf zwölf Einsätze begrenzt
Spender chinesischer Abstammung sind damit ebenso verfügbar wie farbige oder muslimische Migranten, die Katzorke bei Bedarf längst nicht mehr nur an der Uni Duisburg-Essen findet. Bekommen „Durchschnitts-Typen“ für einen Erguss Honorare in Höhe von 50 bis 150 Euro, so können Spender mit in europäischen Breitengraden seltenen äußerlichen Merkmalen für eine Spende mehrere hundert Euro verdienen.
Reich werden die Spender dennoch nicht, denn Katzorke befruchtet, um Inzest auszuschließen, mit dem Samen eines Spenders maximal zwölf Frauen.
Ob Sarah P., die als Einzelkind aufwuchs, nun Halbgeschwister hat, darf sie nach dem Urteil erfahren. Kurz strahlt sie bei der Urteilsverkündung. Doch die Kamerateams am Ausgang erschrecken sie sichtlich.
Ausgezogen ist sie, ihren Vater kennenzulernen – und hat damit eine Lawine losgetreten.