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Fragwürdige Berufung an der Universität Witten/Herdecke

Fragwürdige Berufung an der Universität Witten/Herdecke

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Foto: Walter Fischer
  • Private Universität Witten/Herdecke berief Professor mit zweifelhaften Qualifikationen
  • Es gab keine öffentliche Ausschreibung
  • WAZ-Recherchen zeigen: Mitfinanziert wird die Stelle von Verein, den Frau und Vater mitgründeten

Witten. 

„Erheblich reputationsschädigend“ könnte sich eine Professorenberufung für die private Universität Witten/Herdecke auswirken. So zumindest schätzt der Deutsche Hochschulverband den Fall des im vergangenen Jahr neu eingerichteten Lehrstuhls für „Literatur und Kommunikation in China“ ein. Konkret geht es um die Frage: Hat sich hier ein Bewerber mit mangelnden Qualifikationen eine Professur „kaufen“ können?

Lange schwieg die Universität zur Finanzierung des Stiftungslehrstuhls von Prof. Dr. Martin W. Erstaunlich, da die Privatuni normalerweise sehr offen über ihre Förderer spricht und mit ihrer Nähe zur Wirtschaft sogar wirbt. Von Ostasienwissenschaftlern anderer NRW-Hochschulen wurde zeitgleich Kritik an dem intransparenten Verfahren laut: Warum war die Stelle nicht öffentlich ausgeschrieben worden? Professuren in den Chinawissenschaften sind hart umkämpft, nur die Besten schaffen es in die Forschung und Lehre.

Martin W. aber hat keine Habilitation abgelegt. Seine Dissertation wurde mit „cum laude“ bewertet – das ist nach „summa cum laude“ und „magna cum laude“ nur die dritthöchste „Note“ für Doktorarbeiten. Nach Informationen unserer Zeitung war er daher bei Bewerbungen an anderen Hochschulen in der Region, so auch an der Ruhr-Uni Bochum, direkt durchs Raster gefallen. Ein unabhängiges Gutachten des Kölner Sinologie-Professors Stefan Kramer kommt zu dem Urteil, dass W.s bisherige Schriften fast ausschließlich im Eigenverlag veröffentlicht wurden und diese „weder inhaltlich-methodisch noch auch nur in formaler Hinsicht die Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens erfüllen“. Eine Berufbarkeit auf eine Universitätsprofessur, so das Fazit, sei ausgeschlossen.

Die Einstellung war intern heftig umstritten

Dennoch machte die Uni Witten/Herdecke Martin W. zum Professor. Intern allerdings kam es zu einem Eklat in der Berufungskommission: Der Vorsitzende, ein Professor der Fakultät für Kulturreflexion, trat zurück. Aus Kreisen der Uni heißt es, er habe nicht mit seinem Namen dafür einstehen wollen, Herrn W. zu berufen.

Gab es Druck aus dem Präsidium auf die Berufungskommission? Die Uni bestreitet das in einer Stellungnahme auf Anfrage der WAZ. Nach Informationen der Redaktion verschwieg das Präsidium allen Gremien, wie die Stelle finanziert ist, legte auch dem Senat und dem Fakultätsrat keine Unterlagen der Berufungskommission vor. Auch das bestreitet die Uni.

In der Stellungnahme heißt es zudem: „Die […] Berufungskommission hat nach Sichtung möglicher Kandidaten/Kandidatinnen eine Präferenz für Prof. Martin W. deklariert. Die Universität kann in Ausnahmefällen auf Vorschlag der jeweiligen Berufungskommission entscheiden, auf eine Ausschreibung zu verzichten.“ WAZ-Informationen zufolge ist das falsch. Die Berufungskommission sichtete demnach nur einen einzigen Kandidaten: Martin W.

Der Unterstützer-Verein mit dem klangvollen Namen „European Science and Scholarship Association e.V.“

Warum gab es kein transparentes Verfahren mit Bestenauslese? Hat der Geldgeber hier den Kandidaten als Bedingung genannt? Konfrontiert mit diesen Fragen legt die Universität der WAZ gegenüber jetzt offen: Der in Bochum gegründete Verein „European Science and Scholarship Association e.V.“ zahle einen Teil der Professur, die nur eine halbe Vollzeitstelle umfasse. Einen anderen Teil finanziere die Uni. Pikant: Nach WAZ-Recherchen wurde dieser Verein im Literaturcafé einer Buchhandlung gegründet, die Martin W. selbst gehörte.

Zu den 13 Gründungsmitgliedern zählten 2007 sein Vater und seine Ehefrau sowie ein Mitarbeiter W.s. Seine Ehefrau meldete die Homepage des Vereins an, trat als Schriftführerin auf und faxte die Gründungsunterlagen an das Vereinsregister. Die Beamten dort erachteten den Begriff „europäisch“ im Vereinsnamen aber für zu hoch gegriffen. W.s Frau rechtfertigte mit einem Brief im Namen von W.s eigenem Buchverlag, dass der lokale Verein durchaus europäisch tätig sei: Schließlich werde er europaweit bedeutende Wissenschaft fördern.

Tatsächlich aber taucht der Name des Vereins lediglich bei Projekten auf, an denen Martin W. beteiligt war. So erhielt dieser eigenen Angaben auf seiner Website zufolge mehr als 90 000 Euro an Fördergeldern von dem Verein seiner Familie. Einem Verein, der beim Finanzamt als gemeinnützig gilt und Einnahmen nicht versteuern muss. Vereinspräsident Harald Holz bestreitet, dass nur Projekte von Martin W. gefördert wurden. Andere Beispiele aber gibt er auf Nachfrage unserer Zeitung nicht an. Martin W. selbst will keine Stellung nehmen.

Der Deutsche Hochschulverband kritisiert das Verfahren

Jurist Michael Hartmer, Vorsitzender des Deutschen Hochschulverbands, kritisiert das Vorgehen der Uni massiv: „Wenn es zutrifft, dass hier eine Person ohne Habilitation, mit einer Dissertation, die nur mit ,cum laude’ bewertet wurde, in einem Verfahren ohne öffentliche Ausschreibung und ohne Bestenauslese berufen wurde, dann ist das dubios und hat mehr als ein Geschmäckle“, so Hartmer. „Das wäre ein Berufungsskandal“. Einer, der für die Uni Witten kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt publik werden könnte: Derzeit prüft der deutsche Wissenschaftsrat erneut, ob die private Hochschule ihren Status als anerkannte Universität behalten kann.

INFO: Ministerium verlässt sich auf Uni-Angaben

Das NRW-Wissenschaftsministerium war in das Berufungsverfahren nicht eingebunden, dies ist auch nicht üblich. Es gab aber die Zustimmung zur Führung des Professorentitels. Die nötigen Unterlagen dazu hätten vorgelegen, so ein Sprecher des Ministeriums. Alles weitere obliege der Hochschule.