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Fethullah Gülen – islamischer Gandhi oder mächtige Gefahr?

Fethullah Gülen – islamischer Gandhi oder mächtige Gefahr?

Die Gülen-Bewegung ist die mächtigste islamische Organisation in der Türkei. Kritikern und Experten zufolge kontrolliert sie Justiz, Politik, Wirtschaft und weite Teile der Polizei. Ihr Einfluss reicht aber weit über die türkischen Grenzen hinaus. Auch nach NRW.

Essen. 

Sie schlugen ihre Augen weit auf. In ihren kleinen Gesichtern spiegelte sich die wahre Freude wieder. Sie sahen aus, als hätten sie gerade etwas Wunderbares gesehen. So reagierten die Schüler des Privatgymnasiums „Dialog“ in Köln-Buchheim, als ein Kamerateam des WDR sie fragte: „Kennt ihr Fethullah Gülen?“

Ein Name. Ein Mann. Für seine Anhänger ist er ein Messias. Für seine Kritiker der mächtigste und gefährlichste Mann der Türkei. Sein Einfluss reicht aber weit über die Grenzen der Türkei hinaus. Das Netzwerk, dem er vorstehen soll, ist weltweit aktiv. Auch in Nordrhein-Westfalen.

Drei Schulen in NRW

Über 60 Bildungseinrichtungen, zumeist Nachhilfeinstitute, sind in den letzten Jahren im Umfeld der islamischen Gülen-Bewegung im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands entstanden. Drei Schulen, das Privatgymnasium Dialog in Köln, eine Realschule in Wuppertal und ein weiteres Gymnasium im ostwestfälischen Geseke wurden von verschiedenen Trägervereinen der Bewegung gegründet. Zuletzt scheiterten Pläne, ähnliche Eliteschulen in Bochum und in Duisburg zu gründen am deutschen Baurecht. Vorerst.

An allen Schulen haben die Schüler meist einen türkischen Hintergrund. Die lokalen und regionalen Vorsitzenden der Vereine, die Agabey genannt werden, betonen wann immer es ihnen möglich ist, dass es sich bei den Schulen, den Internaten, den Nachhilfeinstituten und Universitäten, den Zeitungen und Fernsehsendern und den Wirtschaftsverbänden in NRW und weltweit, nicht um Einrichtungen von Fethullah Gülen persönlich handelt.

Keine Adresse, kein Briefkasten, kein Konto

„Seine Bewegung hat keine Adresse, keinen Briefkasten, kein Register, kein zentrales Konto. Gülen-Anhänger demonstrieren nicht für Scharia und Dschihad – die Gemeinde operiert im Verborgenen. Fethullah Gülen, der Pate, bestimmt Kurs und Ausrichtung“, schrieb das Nachrichtenmagazin Spiegel 2011 über die Gülen-Bewegung. Alle Einrichtungen sind formal voneinander unabhängig, auf der Beziehungsebene der Leiter miteinander aber zu einem Netzwerk verbunden. Der Gülen-Bewegung werden Hunderttausende Mitglieder zugerechnet, was sie zu einer der größten – wenn nicht sogar der größten- islamischen Bewegungen in der Türkei macht.

Nach außen propagiert die Bewegung gebetsmühlenartig ihren Willen zum interkulturellen Dialog. Die Vermittlung von qualifizierter Bildung ist ihr offizielles Ziel. Das Mantra Gülens: „Baut Schulen statt Moscheen.“ Seine Anhänger folgen: Über 1000 Schulen in 140 Ländern auf allen Kontinenten werden der islamischen Bewegung zugerechnet. Kritiker sehen hinter dem milliardenschweren Netzwerk aber weit mehr, als nur eine humanistische, religiöse Bewegung, die sich die Versöhnung aller Kulturen und Religionen auf die Fahne geschrieben hat.

Aussteiger fürchten die Gülen-Bewegung 

In der WDR-Dokumentation „Der lange Arm des Imam – Das Netzwerk des Fethullah Gülen“ berichten Aussteiger, die aus Angst vor Repressalien nicht erkannt werden wollen, von einem totalitären System: „Sie brechen deinen Willen, bis dein Geist und dein Körper ihnen gehören.“

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban von der Evangelischen Hochschule in Berlin enttarnte in der Sendung eine brisante Textstelle in einem Aufsatz von Fethullah Gülen über Religionsfreiheit. Auf der französischen Homepage Gülens heißt es: „Wer vom Islam abgefallen ist und dies nicht bereut, der muss mit dem Tode bestraft werden.“ Auf Presseanfragen reagieren Gülen-Anhänger genau wie ihr ideologisches Vorbild. Entweder sie antworten gar nicht oder nur ausweichend.

Menschen, die mit der Gemeinde gebrochen haben, ihr Inneres kennen, berichten von erzkonservativen Strukturen, wie in einer Sekte.

Ausbildung – und ein Leben für den „Hizmet“

Die Gemeinde (Türkisch: „Cemaat“) ziehe nach Aussagen von Aussteigern ihre Kader auf der ganzen Welt in sogenannten Lichthäusern heran, einer Mischung aus Wohngemeinschaft und Koranschule. Gülen sei ihr Guru, ein Ideologe, der keinen Widerspruch dulde. Sein Streben gelte Macht und Einfluss, nicht Verständigung und Toleranz. Er träume von einem neuen Zeitalter, in dem der Islam über den Westen herrscht, berichteten ehemalige Gülen-Anhänger dem Spiegel.

Die Bewegung soll mittlerweile weite Teile der türkischen Wirtschaft, der Justiz, der Politik und des Polizeiapparates kontrollieren.

Die Lichthäuser und die Sohbets (Türkisch: Gespräch) seien das Fundament der Bewegung. Junge „Fethullahçis“ werden dort überall auf der Welt zu treuen Dienern erzogen. Die Gemeinde biete Schülern und Studenten ein Zuhause, oft kostenlos, und sie erwarte als Gegenleistung, dass sie alle ihr Leben dem „Hizmet“ widmen, dem Dienst am Islam, berichtet Ghadban.

Fethullah Gülen – Der muslimische Gandhi 

Fethullah Gülen selbst inszeniert sich gern als bescheidener Prediger, „er möchte wie ein muslimischer Gandhi wirken“, schrieb der Spiegel.

Als Ankara in den achtziger Jahren im Kampf gegen den Kommunismus die türkisch-islamische Synthese beschwor, ergriff Gülen die Gelegenheit: Er gründete Schulen in der Türkei und im Ausland.

In einer Predigt forderte er damals seine Schüler auf, ein neues muslimisches Zeitalter zu begründen. Seine Anhänger sollten den türkischen Staat zu unterwandern und sich konspirativ verhalten, bis die Zeit zur Machtübernahme reif sei.

Als eine Aufnahme dieser Rede 1999 an die Öffentlichkeit geriet, floh Gülen aus der Türkei. Er behauptet, seine Worte seien manipuliert worden. Gülen lebt seither im Exil in den USA. Zwei Autostunden von New York entfernt, in Saylorsburg/Pennsylvania.

Allianz mit Erdogan

2003 wurde der Prozess gegen Gülen ausgesetzt, 2006 erwirkte er in Abwesenheit aufgrund geänderter Rechtsprechung seinen Freispruch. Umstürzlerische Absichten wies er von sich. Gülen trifft und traf hochgestellte politische und religiöse Persönlichkeiten aus aller Welt, darunter auch Papst Johannes Paul II, Patriarchen der armenischen und griechischen Kirchen sowie Vertretern jüdischer Gemeinden.

Auf der Internetseite „gueleninstitute.org“ sind außerdem Zitate vieler Prominenter aufgelistet, die die Arbeit Gülens als positiv und begrüßenswert empfinden. Darunter: UN-Generalsekretär Kofi Annan und die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright.

Dass die islamisch-konservative AK-Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan 2002 die türkische Parlamentswahl gewann, half Gülen, seinen Einfluss in der Türkei weiter auszubauen. Die beiden Lager seien zunächst eine strategische Partnerschaft eingegangen, glauben Beobachter: Gülen sicherte der AKP Wählerstimmen, Erdogan schützte die Gemeinde.

„Viele Staatsbeamte würden auf Befehl der Gülen-Brüder handeln“, zitiert der Spiegel einen hochrangigen Aussteiger. „Sie waren unsere Schüler. Wir haben sie ausgebildet und unterstützt. Wenn diese dankbaren Kinder ihr Amt antreten, dienen sie weiterhin Gülen.“

Einfluss bis hinein in die Armee

Bei Recherchen zum Netzwerk der Gülen-Bewegung in Istanbul berichtete ein emeritiertes hochrangiges Mitglied der türkischen Streitkräfte von der „größten Ehre, die ihm in seinem Leben zu Teil geworden ist“. Er ist einer der wenigen Menschen, die persönlich eine Audienz bei Gülen bekommen haben. Der ehemalige Soldat war so euphorisiert von seinem Treffen mit Gülen, als sei er Gott persönlich begegnet.

Ein Einzelfall? Möglich. Aber einer, der zeigt wie tief die Bewegung mittlerweile selbst in die Strukturen des türkischen Militärs eingedrungen ist. Einer Armee, deren oberste Aufgabe es stets war, das Erbe des laizistischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk zu schützen. Staat und Religion sollte nie wieder vermischt werden.