Kinderärztin Sara Hommel arbeitete in einem Kinderkrankenhaus in Sierra Leone. Als das erste Kind an Ebola erkrankte, verließen alle Ärzte und Schwestern panikartig das Krankenhaus. Das ist leider kein Einzelfall. Weil Ärzte flüchten, sterben immer mehr Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten.
Freetown.
Winzige Babys werden künstlich beatmet oder hängen am Tropf. Sie haben Fieber und Durchfall, weil sie an Malaria oder Lungenentzündung erkrankt sind. Sie werden im Kinderkrankenhaus in Freetown – dem einzigen Sierra Leones – versorgt. Alltag eben. Doch der Tag, an dem ein Junge positiv auf Ebola getestet wird, ändert alles: Acht Ärzte und 25 Krankenschwestern müssen das Krankenhaus wegen akuter Infektionsgefahr verlassen – und lassen 172 kleine Patienten allein zurück. Nur zwei deutsche Kinderärztinnen der Hilfsorganisation Cap Anamur halten die Stellung. Eine davon war Sara Hommel.
„Alle reden von Ebola. Doch niemandem ist klar, dass sehr viele Menschen an durchaus heilbaren Krankheiten wie Durchfall sterben, weil Ärzte und Schwestern fehlen, die sie behandeln könnten“, sagt die Bergheimerin.
„Niemand hat unsere Hilferufe ernst genommen“
Sara Hommel ist inzwischen aus Sierra Leone zurück gekehrt. Ihre Eindrücke sind frisch: „Ebola war im April im Osten des Landes angekommen, aber jeder sagte uns, Ebola erreiche niemals die Hauptstadt. Niemand hat unsere Hilferufe ernst genommen.“ Dabei, so die 32-Jährige, habe jeder damit rechnen können, der die Mentalität der Menschen kenne.
Die Reiseaktivität in Bussen sei hoch, „man ist sehr herzlich und umarmt sich. Auch die Toten.“ Gerade der körperbetonte Kontakt zu den Toten beim Zurechtmachen für die Beerdigung sei Grund dafür, warum sich immer wieder auf einen Schlag mehrere Familienmitglieder infizierten.
Alles konzentriert sich auf Ebola
Die Kindersterblichkeit war in Sierra Leone auch ohne Ebola hoch, sagt die Ärztin. „Mir sind jeden Tag viele Kinder unter den Händen weg gestorben – trotz medizinischer Versorgung.“. Nach der Klinikschließung seien allein in Freeport 1000 Kinder unversorgt geblieben. „Die waren zuhause und sind gestorben. Doch keiner hat das mitgekriegt“. Diese Entwicklung, da ist die Medizinerin sicher, betrifft auch erwachsene Kranke. Auf jeder Krankenstation fehle es an Personal. Alles konzentriere sich auf Ebola. Viele Ärzte und Schwestern hätten sich wegen unzureichender Schutzmaßnahmen infiziert und schreckten andere Kollegen ab, weiter zu arbeiten. „Es dauert Jahre bis qualifizierter Nachwuchs nachrückt“, sagt Sara Hommel.
Malvin, so hieß der erste Ebola-Fall im Kinderkrankenhaus von Freeport, hat das Virus nicht überlebt. Er wurde vier Jahre alt. Malvin wurde auf Malaria behandelt, weil seine Eltern die Todesfälle in der Familie verschwiegen. Als seine Schleimhaut-Blutungen auffielen, war es zu spät.
Eine Infusion bedeutet höchste Infektionsgefahr
Die „Flucht“ des Personals und die damit verbundene Problematik erinnert Sara Hommel so: „Die Eltern kreisten uns mit ihren Kindern auf dem Arm ein. Sie wollten nicht glauben, dass wir kranke Kinder nach Hause schicken.“ Ein Vater drückte ihr eine Blutkonserve in die Hand. „Für meinen Sohn. Der braucht eine Infusion“, habe er sie angewiesen.
Eine Infusion zu legen, bedeutete aber höchste Infektionsgefahr für den kleinen Patienten. „Wir mussten in diesem Augenblick entscheiden, den Jungen sterben zu lassen oder auf gut Glück zu infusionieren.“ In diesem Fall war das Glück auf ihrer Seite.
Kranke Kinder nach Hause geschickt
Obwohl Sara Hommel wieder in Deutschland arbeitet, ist sie mit ihren Gedanken noch häufig in Sierra Leone. Nicht zuletzt deshalb, weil sie und ihre Kollegen es geschafft haben, dass neben dem Kinderkrankenhaus von Freetown eine neue Isolierstation entstanden ist. Sie überredeten den örtlichen Bischof ein Grundstück zur Verfügung zu stellen und erstellten die Pläne für den Bau der Station anhand eines PC-Programms. Dank der neuen Station konnte der Krankenhausbetrieb wieder aufgenommen werden. Seitdem werden normale Kranke von Ebola-Infizierten getrennt und behandelt.
Die Eröffnung der Station durfte Sara Hommel nicht vor Ort erleben. Zu gefährlich war die Situation ist Sierra Leone. Heute arbeitet die 32-Jährige wieder in einer Kinderklinik in Düren und ist froh, dass sie in einem der ärmsten Länder der Erde helfen konnte.