Vor 25 Jahren erscholl in Leipzig der Ruf, der die Revolution in der DDR prägte: „Wir sind das Volk“. In der Folge entstanden die Montagsdemonstrationen, die das Ende der DDR einläuteten. Katrin Hattenhauer gehörte zu jenen, die damals aufbegehrten.
Leipzig.
Auf dem Platz vor der Nikolaikirche glimmen in der Dunkelheit Lichtwürfel. Erst einer, dann zwei – am Ende leuchten 150 Steine. Die Installation des Künstlers Tilo Schulz erinnert an das langsame Aufbäumen der Leipziger Bevölkerung im Wende-Herbst 1989. In dem Gotteshaus hatten sich bereits Anfang der 80er-Jahre Gläubige zu Montagsgebeten getroffen. Aus ihnen entwickelten sich 1989 die Montagsdemonstrationen.
Ab Sommer 1989 versammelten sich jede Woche Zehntausende Menschen, um für Demokratie, freie Wahlen, Reisefreiheit und letztlich die Einheit Deutschlands zu demonstrieren. Hier erscholl erstmals der Ruf „Wir sind das Volk“, der zum Motto der DDR-Bürgerrechtler wurde. Bis heute wird Leipzig deshalb „Heldenstadt“ genannt.
Deckname „Meise“
Eine der Montagsdemonstranten von damals ist Katrin Hattenhauer. Die 45-jährige Künstlerin und Bürgerrechtlerin studiert damals Theologie. „Ich bin Christin und wollte dem Staat nicht dienen“, erinnert sich die Frau heute. Im Konvikt bezieht sie ein Zimmer, in dem ein Kopiergerät steht, auf dem sie ihre Flugblätter gegen den SED-Staat vervielfältigt.
Die Stasi, die Hattenhauer unter dem Decknamen „Meise“ bespitzelt, verlangt von der Hochschule, dass sie ihr Studium beenden müsse. Der Rektor stellte sich vor sie: „Ich bin trotzdem gegangen, um Schaden vom Seminar abzuwenden.“ Da engagiert sie sich bereits in der Oppositionsgruppe „Gerechtigkeit“.
„Ich war schon lange im Visier“
Am 4. September 1989 fordert Katrin Hattenhauer die Staatsmacht einmal mehr heraus. Nach dem Friedensgebet trägt sie ein Plakat auf den Nikolaiplatz: „Für ein offenes Land mit freien Menschen“, ist darauf zu lesen. Medienvertreter aus dem Westen werden Zeugen der Szene – sie sind auch der Grund, warum Katrin Hattenhauer nicht sofort verhaftet wird.
„Wir wussten, dass westliche Journalisten da sein würden und die Chance war groß, dass die Bilder in die Welt transportiert werden“, erzählt sie. Ein paar Tage später wird Hattenhauer dennoch verhaftet. Heute sagt sie: „Der 4. September war nur der Punkt auf dem i, ich war schon lange im Visier.“
Den 9. Oktober verbringt sie im Gefängnis. Von den 70.000 Demonstranten, die an diesem Tag in Leipzig die Innenstadt umrunden und für die Freilassung der Inhaftieren skandieren, bekommen Hattenhauer und die anderen nichts mit: „Ich habe nur Geräusche gehört. Es klang, als wären Panzer in der Stadt unterwegs. Später haben wir dann erfahren, dass es die Demonstranten waren.“
Die Nacht, in der Geschichte geschrieben wurde
Beim Mauerfall, einen Monat später, feiert sie mit Freunden in ihren Geburtstag am 10. November: „Man hatte mir meinen Pass noch nicht wiedergegeben, aber ich bin trotzdem mit Freunden illegal nach Berlin gefahren.“ In der Nacht verließen immer mehr Leute die Kneipe und sagten, sie gingen in den Westen. „Sogar der Wirt ist gegangen und wir dachten – gut, dann trinken wir jetzt den Laden leer.“ Erst langsam dämmerte es ihr, dass in dieser Nacht Geschichte geschrieben wurde.
Inzwischen lebt Katrin Hattenhauer in Berlin und arbeitet in London. In ihrer Heimat Leipzig sind sie stolz auf die historische Bedeutung ihrer Stadt, führen Tausende Touristen über die Spuren der Freiheit. Nur mit der Errichtung eines Denkmals der Freiheit, wie es eigentlich für den 25. Jahrestag vorgesehen war, tun sich die Bürger schwer. Die Stadt hatte zwei Wettbewerbe ausgeschrieben. Doch der Siegerentwurf, der aus 70.000 bunten Würfeln bestand, wurde zwar von der Jury gelobt, erntete bei den Bürgern aber heftige Kritik.
Und so ist dort, wo das Denkmal entstehen sollte, heute noch eine Brache. Die Leipziger beschreiben den Platz als „zentrales Nichts“.