Die einen nennen sie schon die „türkische Version der AfD“, die anderen halten sie für harmlos: Die Rede ist von der neuen Partei „Dava“. Seit ihrer Gründung im Januar sorgt die „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ in Deutschland für heftige Diskussionen. Formal ist sie noch eine Wählervereinigung – doch bei der Europawahl am 9. Juni will sie als Partei antreten.
Hintergrund der Debatte ist die Befürchtung, der Verband könne als verlängerter Arm der türkischen Regierungspartei AKP agieren. Diesen Vorwurf weist Dava jedoch entschieden zurück.
Vielmehr versteht sich die Wählervereinigung als Sprachrohr einer ganz bestimmten Wählerschaft. Was will die Erdogan-Partei wirklich?
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Ziel 1: „Politische Vertretung“ für Muslime
Die Dava tritt nach eigenen Angaben mit dem Ziel an, eine politische Heimat für Türkeistämmige und wahlberechtigte Muslime zu bieten. In Deutschland, wo rund 2,8 Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, davon etwa 1,5 Millionen Wahlberechtigte, sieht die Vereinigung ein großes Potenzial.
Laut Dava-Sprecher Teyfik Özcan fühlen sich viele von der derzeitigen politischen Landschaft nicht repräsentiert. Die Partei will sich deswegen gegen Diskriminierung und Rassismus wenden und fordert mehr Rechte für Menschen mit Migrationsgeschichte.
Ziel 2: Integration des Islams
Ein zweites zentrales Anliegen von DAVA ist die Bekämpfung von Islamfeindlichkeit, wie aus dem Programm hervorgeht. Die Vereinigung sieht den Islam als untrennbaren Teil der deutschen Gesellschaft und strebt danach, Einfluss auf Bildungsangebote, Medieninhalte und öffentliche Verwaltung zu nehmen. So soll ein „realistischeres und positiveres Bild des Islams“ gefördert werden.
Konkret will DAVA „unsachgemäße Darstellungen des Islam“ in Bildungs- und Medieninhalten korrigieren. Dieses Ziel wirft jedoch Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Definition von „unsachgemäßen Darstellungen“ und wer darüber entscheiden soll. Um Islamfeindlichkeit abzubauen will DAVA auch auf „gesetzliche Maßnahmen“ setzen.
Keine klare Abgrenzung zum Islamismus
Bedenklich ist allerdings, dass eine klare Abgrenzung zum politischen Islam und zum militanten Islamismus fehlt. Antisemitismus wird beispielsweise nur kurz erwähnt, während Islamfeindlichkeit ein eigenes Kapitel erhält.
Experten bereitet vor allem das Spitzenpersonal der Vereinigung Sorgen. So war der designierte Spitzenkandidat Fatih Zingal Funktionär der UID, des deutschen Ablegers der türkischen Regierungspartei AKP, und hat die Wahlkämpfe für Präsident Recep Tayyip Erdogan mitorganisiert.
Auf Listenplatz 3 kandidiert zudem Mustafa Yoldas, der seit Jahren eine führende Rolle in der vom Verfassungsschutz beobachteten Milli-Görüs-Gemeinde, einer Organisation des politischen Islam, spielt. Deswegen wird befürchtet, das der Verband vor allem das Bild konservativer islamischer Verbände durchsetzen will.
Ziel 3: Positionierung gegen „Gender-Ideologie“
Ein weiteres zentrales Ziel der Vereinigung ist die Abschaffung der sogenannten „Gender-Ideologie“. DAVA spricht sich deutlich für traditionelle Familienstrukturen aus – vom Gendern wird dabei weniger gehalten. DAVA spricht legt großen Wert auf die Bewahrung von traditionelle Familienstrukturen. So bekennt sich die Wählervereinigung zu einer „Pro-Life-Position“ und setzt sich gegen Abtreibung ein. Auch für die Rechte von queeren Menschen könnte die Partei eine Gefahr darstellen.
Diese Forderungen könnten im Widerspruch zu geltendem Recht stehen, insbesondere im Hinblick auf die Ehe für alle und das Antidiskriminierungsgesetz.
Ziel 4: Sozialpolitischer Kern
Dennoch ist ein starker sozialpolitischer Kern erkennbar. Die Dava will sich nach eigenen Angaben für soziale Gerechtigkeit einsetzen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut. Die Partei fordert eine deutliche Erhöhung der Renten auf 89,2 Prozent des letzten Lohns. Vorbild ist hier die Niederlande. In Bildung und Gesundheit soll ebenso mehr investiert werden.
Außerdem wird eine pragmatische Flüchtlingspolitik „ohne ideologische Vorbehalte“ befürwortet. Die Frage der Finanzierung dieser Vorhaben bleibt jedoch offen, da das Programm keine konkreten Aussagen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik macht.
Ziel 5: Zweistaaten-Lösung
Eines der umstrittensten außenpolitischen Bekenntnisse von DAVA ist die Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung im Israel-Palästina-Konflikt. Die Partei setzt sich für die Schaffung eines souveränen und unabhängigen palästinensischen Staates ein. Dafür sollen alle Aktivitäten, die eine Zweistaatenlösung gefährden könnten eingestellt werden.
Neben der kontroversen Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt spricht DAVA der EU eine aktive Rolle in der internationalen Politik zu, während Themen wie die NATO und die Rolle der Bundeswehr nicht einmal erwähnt werden. Auch zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird keine Stellung bezogen. Die außenpolitische Haltung der Vereinigung wirft demnach viele Fragen auf.
„Mobilisierungspotenzial wenn es um türkische Wahlen geht“
Türkei-Experte Yaşar Aydın von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht die neu gegründete DAVA gegenüber dem Nachrichtenportal „web.de“ vor allem wegen ihrer Verbindungen zu konservativ-islamischen Kreisen und der türkischen Regierungspartei AKP skeptisch. Er versteht zwar das Bedürfnis konservativer Muslime nach einer politischen Vertretung in Deutschland an, glaubt aber nicht an einen großen Durchbruch der Partei: „Diese Gruppe hat ein Mobilisierungspotenzial, wenn es um die türkischen Wahlen geht. Aber hier geht es ja um deutsche Wahlen.“
Aydın rät daher zur Gelassenheit, um die tatsächliche Rolle und Ausrichtung der DAVA in der deutschen Parteienlandschaft besser einschätzen zu können.