CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen erlebt sein Waterloo
Der Spitzenkandidat fährt bei der Landtagswahl die schlimmste Niederlage in der Geschichte der NRW-CDU ein. Ein Grund: Er ist nie wirklich in Nordrhein-Westfalen angekommen.
Düsseldorf.
Es war das blanke Entsetzen. Als in der CDU-Wahlzentrale am Sonntagabend die ersten Prognosen über die Bildschirme flimmerten, verschlug es den dort versammelten CDU-Anhängern die Sprache. Die Union unter der 30-Prozent-Marke – das hatte es zuvor bei keiner Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen seit dem Krieg gegeben.
Und für viele stand gleich fest: Das Debakel hat einen Namen: Norbert Röttgen. Der Minister aus Berlin ist als Spitzenkandidat der CDU nie wirklich in NRW angekommen.
Schon die letzten Wochen waren für Norbert Röttgen ein persönliches Desaster. Der Wahlkampf verpatzt, medialer Gegenwind, keine Wechselstimmung und dann im Endspurt Knatsch mit Kanzlerin Angela Merkel. Röttgens Wahlkampfziel, die populäre „Schuldenkönigin“ Hannelore Kraft aus dem Amt zu jagen, wurde zur „Mission Impossible“. Der Griff nach dem Amt des Ministerpräsidenten blieb eine Fata Morgana.
Inhaltliche Konzepte spielten kaum eine Rolle
Der promovierte Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen CDU hatte im Duell mit ungleichen Waffen auf Fachthemen statt Emotionen gesetzt. Der Kontrast zum Wohlfühlwahlkampf der Ministerpräsidentin war augenfällig. Röttgens inhaltliche Alternative Schulden oder Zukunft wollte nicht recht verfangen beim Wähler. Es wurde wenig geredet im Wahlkampf über inhaltliche Konzepte.
Der 46-Jährige mit der runden Intellektuellen-Brille fremdelte im Gespräch mit dem Bürger und leistete sich gleich drei Fehler: Erstens das fehlende Bekenntnis, auch als Oppositionsführer nach Nordrhein-Westfalen zu kommen.
Zweitens die halbherzige Strategie: Zwar war das Sparen Röttgens großes Wahlkampfthema. Der Kandidat scheute aber konkrete Sparvorschläge und hielt am Verzicht auf Studiengebühren und Elternbeiträge im letzten Kita-Jahr fest. Und zuletzt der dritte Patzer, als er die NRW-Wahl ohne Abstimmung mit der Kanzlerin zur Schicksalswahl über den Euro-Kurs Angela Merkels machen wollte.
Gute Ausgangslage
Dabei war die Ausgangslage für den Rheinländer gar nicht schlecht. Nach dem Abgang von CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers 2010 hatte der karrierebewusste Umweltminister zugegriffen. In einer Urabstimmung um den vakanten Vorsitz schlug Röttgen den Mitbewerber Armin Laschet. Als die rot-grüne Minderheitsregierung vorzeitig scheiterte, sollte Röttgen liefern.
Doch der smarte Christdemokrat drang mit seinen Themen nicht durch und war eher Taktiker als Überzeuger. Dem „Gähnwahlkampf“ fehlte das elektrisierende Thema. In den Sympathiewerten konnte Kopf-Mensch Röttgen mit der gefühligen Herz-Politikerin Kraft nicht mithalten. Gleichzeitig ließ der feinsinnige Kandidat die nötige Angriffslust oft vermissen.
Röttgen sah die CDU in der Finanzdebatte moralisch auf der richtigen Seite. Der dreifache Familienvater forderte eine Abkehr vom Prinzip „Spendierhose“ und erinnerte daran, dass auch Großeltern für ihre Enkel eine vernünftige Zukunft anstreben. Der CDU-Mann überzeugte, wenn er selbst überzeugt war. Das war auch beim Schulkonsens und beim Atomausstieg so, als er die lange widerstrebende CDU umpolte. Um andere Antworten wie beim Betreuungsgeld aber drückte sich Röttgen.
Abgehobene Distanz
Gebetsmühlenartig beklagte der CDU-Politiker, dass das starke Industrieland von Rot-Grün unter Wert regiert wurde. Röttgen warf der rot-grünen Landesregierung Ideen- und Konzeptionslosigkeit vor. Trotzdem verharrte die NRW-CDU im 30-Prozent-Turm – auch weil der intellektuelle CDU-Kandidat oft eine abgehobene Distanz ausstrahlte.
Im Wahlkampf gepatzt
Röttgens Wahlkampfmotto „Politik aus den Augen der Kinder“ sollte die eigene Partei mobilisieren und die Schmuse-Strategie der SPD torpedieren. Der akademisch wirkende Kandidat aber patzte als Wahlkämpfer und blieb seltsam unverbindlich. Das Abenteuer „Ministerpräsident“ hat sich für Röttgen erst einmal erledigt. Auch in Berlin ist der einstige Überflieger geschwächt.