Seit diesem Jahr ist Hartz 4 Geschichte. Zum 1. Januar 2023 ist das neue Bürgergeld eingeführt worden. Mit der, laut Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), „größten Sozialreform seit zwanzig Jahren“ sollten einige Dinge für Empfänger verbessert werden.
So wurden die Regelsätze zum Jahreswechsel erhöht, das Schonvermögen verbessert und bessere Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildungen geschaffen. Doch ist das Bürgergeld tatsächlich die größte Sozialreform? Was hat sich verbessert?
Bürgergeld ist „schlechter Kompromiss“
„Gut gemeint ist nicht gut gemacht – das Bürgergeld ist ein schlechter Kompromiss“, sagt Stefan Wagner gegenüber der „tagesschau“. Wagner bezog selbst lange Arbeitslosengeld II (Hartz 4), lebt inzwischen von einer kleinen Rente und engagiert sich ehrenamtlich in der Sozialen Anlaufstelle Speyer – für „Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens“ stehen, wie er es selbst beschreibt.
Die meisten Menschen, die seit Anfang des Jahres Bürgergeld beziehen, seien oft misstrauisch und verunsichert gewesen. „Das ist ein unheimlich komplexes Leistungssystem, da blickt kaum jemand durch“, sagt Wagner. „Schonvermögen, Freibeträge, was hat sich geändert, welche Fristen muss man einhalten, worauf habe ich Anspruch?“
Erhöhung „rockt es wirklich nicht“
Der Regelsatz beim Bürgergeld hat sich für alleinstehende Erwachsene von 449 Euro um rund 50 Euro auf 502 Euro im Monat erhöht. Aber: „Die 53 Euro mehr rocken es aber wirklich nicht“, betont der ehemalige Leistungsbezieher. „Die werden allein durch die gestiegenen Lebensmittelpreise und Stromkosten komplett aufgefressen.“
Auch Sozialverbände mahnen, dass der gestiegene Regelsatz angesichts der hohen Inflation nicht ausreicht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert beispielsweise eine Höhe von monatlich 725 Euro. Denn Empfänger müssen vom Bürgergeld-Regelsatz verschiedene Bedarfe wie Lebensmittel, Kleidung, Freizeitaktivitäten oder Bildung decken. Auch für Grünen-Chefin Ricarda Lang ist der aktuelle Satz zu wenig: „Die dafür bereitgestellten Beträge reichen vorne und hinten nicht aus.“
Das Bürgergeld schreibt sich auf die Fahne, den Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt und Würde zu begegnen. Auch Stefan Wagner stimmt dem zu. Aber: „Wichtig ist doch, dass wir die Leute erreichen mit unseren Hilfsangeboten. Wir wollen den Menschen auf Augenhöhe begegnen – und natürlich dazu beitragen, sie in Lohn und Brot zu kriegen, wenn möglich.“ Er fordert, wie Ricarda Lang, eine Neuberechnung des Regelsatzes: „Der muss sich am tatsächlichen Bedarf orientieren“.
Bürgergeld gibt Menschen Perspektive
Im Gegensatz zum Vorgängermodell Hartz 4 stehen beim neuen Bürgergeld Aus- und Weiterbildungen im Fokus, der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft. Arbeitslose müssen also nicht mehr sofort jeden Job annehmen. „Das ist wirklich gut“, betont Ehrenamtler Wagner. Er erzählt von einem, der bei der Anlaufstelle Speyer Hilfe suchte: „Den hätten sie früher zum Regalauffüllen in den Discounter geschickt, jetzt kann er stattdessen seinen Hauptschulabschluss nachmachen. Man sieht den Menschen direkt an, was das mit ihnen macht. Das gibt ihnen ein Stück weit ihre Würde zurück – und eine Perspektive.“
Auch interessant:
Aber auch beim Bürgergeld wird weiterhin sanktioniert. Sollte ein Bürgergeld-Bezieher sich beispielsweise weigern, eine Arbeit anzunehmen, muss er mit Leistungskürzungen rechnen. Zu Unrecht, wie Wagner findet. „Die Leute werden nur in die Ecke getrieben, wenn ständig das Damoklesschwert ‚Kürzung‘ über ihnen schwebt“, sagt er.
Auch Sozialverbände kritisieren die bestehenden Sanktionen beim Bürgergeld. Helena Steinhaus, Gründerin des Vereins Sanktionsfrei, sagt dazu gegenüber „Zeit Online“: „Wir sollten niemanden bestrafen, wenn er ein Jobangebot ablehnt oder nicht zu Terminen erscheint, und ihn stattdessen richtig fördern.“ Und auch eine neue Studie aus England zeigt, dass Sanktionen negative Effekte haben und kein wirksames Mittel sind, um Menschen erfolgreich in Arbeit zu vermitteln.