Immer mehr Menschen erkranken nach einem Zeckenbiss an Borreliose. Allerdings erschweren ungenaue Tests und ein Streit um Diagnose und Therapie die Behandlung. Mediziner fordern daher eine Meldepflicht. Doch NRW weigert sich.
Dortmund.
Die Zahl der Borreliose-Neuerkrankungen nach einem Zeckenbiss nimmt in Nordrhein-Westfalen zu. Experten der Deutschen Borreliose-Gesellschaft führen dies auf die zuletzt wärmeren Sommer zurück. Dadurch gebe es auch in den hiesigen Regionen immer mehr Zecken, die die Krankheit übertragen können.
Etwa eine Million Menschen in Deutschland gelten als erkrankt. Die Dunkelziffer ist allerdings groß, weil viele Ärzte die komplexen Krankheitssymptome nicht oder nur spät erkennen. Hinzu kommt, dass gängige Tests sehr ungenau sind. Darunter leiden viele Betroffene teils massiv.
Problematisch ist, dass unter Medizinern ein Streit um Diagnose und Therapie der Krankheit tobt – zum Nachteil der Patienten. Dadurch könne „eine angemessene Behandlung der Betroffenen erschwert werden“, kritisiert der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU).
Zermürbte Patienten
Einig ist man sich, dass das Erkennen der Krankheit nicht einfach ist. Dr. Kurt Müller, Vorsitzender der Borreliose-Gesellschaft, in der Ärzte und Wissenschaftler arbeiten, weiß: „Solch einer komplexen Multisystem-Erkrankung auf die Spur zu kommen ist für viele Ärzte schwierig.“ Weil sie nicht erkannt wird, würden viele der von Borreliose zermürbten Patienten auf Depressionen behandelt.
Mehr Kenntnisse über die Krankheit sind nötig, doch wenig gefragt. So nahm an einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte im Mai in Meschede keiner der eingeladenen Mediziner teil – obwohl die Weiterbildung von der Ärztekammer anerkannt war.
Hilfreich wäre aus Sicht von Patientenorganisationen eine Meldepflicht für Borreliose, wie es sie in manchen Bundesländern gibt. Sie liefere nicht nur verlässlichere Zahlen, sondern helfe auch, die Wirksamkeit von Präventivmaßnahmen abzuschätzen. Doch NRW sperrt sich. „Nicht sinnvoll“, heißt es aus dem Ministerium von Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne), weil die Krankheit nicht von Mensch zu Mensch übertragen werde und ein Melderegister gegen die Ausbreitung nicht helfen könnte.
Michael Scheffler (Iserlohn), zuletzt gesundheitspolitischer Sprecher der SPD im Landtag, will an dem Thema dennoch dranbleiben. „Ich habe Sympathie für eine Meldepflicht, auch wenn es momentan keine Mehrheit dafür im Parlament gibt“, sagt er der WR. Im vorigen Jahr hatte auf Initiative der FDP eine breite Mehrheit aus SPD, Grünen, FDP und CDU eine Meldepflicht für Borreliose abgelehnt.
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Borreliose hat viele Krankheitsbilder
Nach Berechnung des Virologen Prof. Klaus-Peter Hunfeld gibt es jährlich bundesweit 214 000 Neuerkrankungen mit Borreliose.
Eine „Wanderröte“ nach Zeckenstich ist ein erster Hinweis.
Borreliose kann sich als eine Art Sommergrippe äußern, kann aber auch zu chronischen Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Herzentzündungen und (Gesichts-)Lähmungen führen.