Im NSU-Prozess stand am Dienstag die Explosion vom letzten Versteck des Trios in Zwickau im Mittelpunkt. Erst hat die 89-jährige Nachbarin nicht mitbekommen, dass ihre Außenfassade auf die Straße geschleudert wurde – was dann folgte, umso mehr. Vom Vorfall erholt habe sie sich nie, sagt ihre Nichte.
München.
Sie sitzt in ihrer Küche, während die Nachbarwohnung in die Luft fliegt. Die 89-jährige Frau will die Explosion im letzten NSU-Versteck in der Zwickauer Frühlingsstraße nicht gehört haben. Dabei war die Druckwelle an diesem 4. November 2011 so gewaltig, dass davon Teile der Außenfassade auf die Straße geschleudert wurden. Und auch in der Wohnung der Seniorin entstanden Risse in der Wand. Die Mauer hat gerade noch gehalten.
Ihre Nichte, eine 64-jährige resolute Frau sagte gestern als Zeugin im NSU-Prozess in München aus. Monika M. habe die Explosion von ihrer Wohnung aus gehört. Diese liege im Haus gegenüber der Frühlingsstraße 26. Dort hatte Beate Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit 2007 gelebt. Die drei sollen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gebildet haben.
„Als ich das Feuer sah, habe ich sofort meine Tante angerufen, um ihr zu sagen, dass sie ihre Wohnung verlassen soll.“ Doch die 89-Jährige habe ihr das nicht geglaubt und erst einmal aus dem Fenster gesehen, ob es wirklich brennt, regte sich auch gestern wieder die Zeugin auf.
„Da bin ich losgerannt, um ihr zu helfen, die Wohnung im ersten Stock zu verlassen.“ Monika M. schildert, dass ihre Tante nicht mehr so gut laufen konnte und deshalb für kurze Strecken einen Rollator genutzt habe. Zum Spazierengehen seien sie mit einem Rollstuhl unterwegs gewesen.
Sie und ihre drei Jahre ältere Schwester hätten die Wohnung ihrer Tante fast gleichzeitig erreicht. „Ich war in Panik, als ich die Flammen am Haus meiner Tante gesehen habe“, bestätigt Birgit H. als weitere Zeugin die Angaben ihrer Schwester. Birgit H. ging die Treppe nach oben, da sei ihr die 89-Jährige bereits auf dem Treppenabsatz entgegen gekommen.
„Ich habe ihr nach unten geholfen, danach sind meine Schwester und ich erst einmal mit meiner Tante mit dem Rollstuhl umhergefahren.“ Am Abend musste die Familie einen Notarzt rufen, weil es der 89-jährigen immer schlechter gegangen sei, schildern die beiden Frauen.
89-Jährige hat durch Explosion „alles verloren“
Ein Nebenkläger wollte wissen, ob sich die Tante im Nachhinein über die Angeklagte geäußert habe. „das Miststück, ich musste aus meiner Wohnung raus“, zitierte die ältere Schwester ihre Verwandte.
Beide Zeuginnen sprachen von einem Schock. Ihre Tante habe durch die Explosion alles verloren, sagte Monika M. Sie stamme aus Zwickau, habe aber 50 Jahre in Dortmund gelebt. Erst nach dem Tod ihres Mannes sei sie 2008 wieder zurückgekommen, weil die Schwestern in dem Haus eine Wohnung für sie gefunden hatten. Das wäre ihre Traumwohnung gewesen und ihre Verwandtschaft habe in der Umgebung gewohnt. Jeden Freitag gegen 15.30 Uhr trafen sich ihre nicht mehr ganz jungen Nichten bei der damals 89-Jahrigen zum „Kaffeeklatsch“.
Seit einigen Wochen lebt die 89-Jährige in einem Seniorenheim. Ihre Wohnung konnte sie nach dem Brand nicht mehr betreten. Sie hat auch das Gros ihrer Möbel und Sachen verloren, weil vieles durch den Brandgeruch und Ruß unbrauchbar geworden war. „Meine Tante hat sich von dem Vorfall nie wieder so richtig erholt“, betont Monika M.
Schon vier Zeugen sahen Zschäpe unmittelbar nach Explosion in Nähe des Hauses
Auf Nachfrage des Zschäpe- Verteidigers Wolfgang Heer zeigte sich die Zeugin davon überzeugt, dass die Hauptangeklagte damals das Feuer in der Wohnung des Trios gelegt hatte.
Immerhin gibt es bisher vier Zeugen, die im NSU-Prozess erklärten, Beate Zschäpe kurz nach der Explosion in unmittelbarer Nähe des brennenden Hauses gesehen oder gesprochen zu haben. Gestern schilderte eine 18-Jährige dem Gericht, dass sie knapp eine Minute nach dem Knall beobachtet habe, wie die Angeklagte mit zwei Katzenkörben über die Straße gerannt sei, fügte die Zeugin noch an. Sie ist die Enkelin von Monika M. und noch Schülerin.
Zur gestrigen Verhandlung war das Verteidigerteam von Beate Zschäpe wieder komplett vertreten. Auch Rechtsanwalt Wolfgang Stahl hatte nach seinem zweiwöchigen Urlaub wieder im Gerichtssaal Platz genommen. Dieser wollte zum Ende der Verhandlung von Birgit H. wissen, ob ihre jetzt 91-jährige Tante noch „reisefähig“ sei. „Nein“, kam als entrüstete Antwort. Sie liege inzwischen nur noch im Bett und sei ganz apathisch. Ob Stahl die alte Dame als Zeugin vorladen möchte, blieb gestern offen.
Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe unter anderem schwere Brandstiftung und versuchten Mord vor. Denn sie soll bei der Brandstiftung im letzten NSU-Unterschlupf den Tod auch der damals schon betagten Frau bewusst mit Kauf genommen haben.
Am Rande des Prozesses bestätigte Rechtsanwältin Anja Sturm, dass sie diesen Freitag von Berlin nach Köln umziehen werde. Der Kanzleiwechsel ändere aber nichts an ihrem Mandat für Beate Zschäpe, erklärte sie. Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Verteidigerin sich von ihrer Berliner Kanzlei zum Monatsende trennen werde, weil es Kritik daran gegeben habe, dass sie die Hauptangeklagte im NSU-Verfahren mit vertritt. Künftig wird Anja Sturm in der Kanzlei ihres Kollegen Wolfgang Heer mitarbeiten.