Die RAF, deren letzte Täter jetzt wegen der Überfälle auf Geldtransporter gesucht werden, hat seit Jahrzehnten in NRW eine Blutspur hinterlassen.
Essen.
Überall im Land wühlen Polizei und Staatsanwaltschaften derzeit in alten Akten. „Rentner“ der Rote Armee Fraktion (RAF) haben sich gemeldet. Drei der seit Jahrzehnten untergetauchten Terroristen haben zwei Raubüberfälle auf Geldtransporter unternommen und ihre Spuren hinterlassen. Jetzt vergleichen die Strafverfolger die DNA ihrer lokalen Coups mit denen der Täter aus Bremen und Wolfsburg.
Das ist auch im Ruhrgebiet so. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft meldet Vollzug der Überprüfung: Keine Übereinstimmung. Täter, die am 13. Dezember letzten Jahres einen Transporter überfallen hatten und ohne Beute getürmt sind, sind nicht mit Ernst Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg identisch, bestätigt Sprecher Henner Kruse.
September 1978: Schüsse im Wald bei Dortmund-Löttringhausen
Die RAF-Zeit liegt immer noch wie ein Schatten auf der Arbeit der Sicherheitsbehörden, gerade in Dortmund. An Tagen wie diesen wird die Geschichte lebendig. Hier gab es zwei der 62 Toten in der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Staat und „Baader-Meinhof“. Einer war Hans-Wilhelm Hansen, ein 26-jähriger Polizist, der andere das 27-jährige RAF-Mitglied Michael Knoll.
Der 24. September 1978. Im Wald im südlichen Stadtteil Löttringhausen haben Anwohner Schüsse gehört. Schnell ist der Streifenwagen „Union 14/27“ vor Ort. Die beiden Streifenpolizisten treffen auf drei Terroristen, die versteckt Schießübungen auf Zeitungsseiten machen. Es sind Werner Lotze, Angelika Speitel und Knoll. Das Trio zieht seine Waffen und feuert. Die „Union“-Besatzung feuert zurück. Hansens Kollege Schneider bleibt schwer verletzt am Boden liegen ebenso wie Angelika Speitel. Lotze kann fliehen. Speitel wird verhaftet, in der Bochumer Klinik Bergmannsheil operiert und bleibt bis zur Begnadigung durch den Bundespräsidenten zwölf Jahre inhaftiert.
Zwischen 1970 und 1990: bürgerkriegsartige Straßenszenen
Die RAF hat eine Spur aus Blut und Verbrechen an Rhein und Ruhr gezogen. In Köln-Braunsfeld, wo Arbeitgeberchef Hanns Martin Schleyer entführt und seine Begleiter umgebracht wurden. In der Bundeshauptstadt Bonn, wo es Sprengfallen-Attentate gab, der Diplomat Gero von Braunmühl auf dem Pflaster im Stadtteil Ippendorf verblutete und die US-Botschaft beschossen wurde. In Düsseldorf, wo der Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder durch die Kugeln von immer noch Unbekannten starb.
Und auch wer von den Jüngeren etwas nördlich, im Revier, mit der Generation 50 oder 60 plus redet, wird etwas von fast bürgerkriegsartigen Straßenszenen der Jahre zwischen 1970 und 1990 erfahren. Von gesperrten Autobahnen und Rheinbrücken, Polizei-Kontrollen mit der MP im Anschlag, dem besonderen Augenmerk der Behörden auf Langhaarige und schnelle Autos, von Bekennerschreiben des „Kommando Siegfried Hausner“ an die Zeitungsredaktionen während der Schleyer-Entführung und Razzien in Szenevierteln.
1970: Banküberfall der „Baader-Meinhof-Bande“ im Ruhrgebiet vereitelt
Ein halbes Jahr nach der RAF-“Gründung“ in Berlin, es ist kurz vor Weihnachten 1970, wird das Ruhrgebiet zum ersten Mal zum Schauplatz. Andreas Baader, der Protagonist der linksextremen Gruppe, braucht Geld für seinen „anti-imperialistischen Kampf“ und dehnt ihn nach Westen aus. Am 21. Dezember sollen seine Leute Banken in Gladbeck und Oberhausen ausrauben.
Doch schon dieser Anlauf geht schief. Drei, darunter Beate Sturm und Karl-Heinz Ruhland, geraten in eine Polizeikontrolle in Oberhausen. Ruhland übergibt den Beamten friedlich seine Waffe, die beiden anderen fliehen. Meinhof wird in der gleichen Nacht in Gelsenkirchen gestoppt, wo sie erblondet mit einem gefälschten Ausweis unterwegs ist. Sie gibt Gas und verschwindet. Aber mit dem falschen Pass hat die Polizei ein aktuelles Fahndungsfoto in der Hand.
Wahrscheinlich sind Rheinland und Ruhrgebiet, am Weg ins zentrale Untergrund-Depot der Gruppe im niederländischen Utrecht, wichtige Nachschub- und Rekrutierungsräume gewesen. Eine der wenigen entdeckten unterirdischen Waffenkammern wurde in Hagen gefunden, konspirative Wohnungen in Dortmund, die spätere RAF-Chefin Brigitte Mohnhaupt kam aus Rheinberg. 325 000 Mark konnten in die Kasse der „dritten Generation“ der RAF fließen, weil die Terror-Bande am 5. Juni 1990 den Massa-Markt in Duisburg ausraubte. Wenige Monate zuvor, am 4. Februar, hatten „Militante“ aus dem Umfeld der RAF-Kommandoebene einen Sprengsatz vor dem Essener RWE-Gebäude gezündet. Der Sachschaden: Eine Million Mark.
1991: Treuhand-Chef Rohwedder wird in Düsseldorf ermordet
Nichts aber hat die Menschen so getroffen wie der eiskalte Mord am 58-jährigen Detlev Karsten Rohwedder. Er hatte als Manager Hoesch in Dortmund geführt, war nach der Wiedervereinigung zur Treuhand gewechselt, die im Auftrag der Bundesregierung übrig gebliebene DDR-Betriebe in die Marktwirtschaft überführen sollte. Am Ostermontag, dem 1. April 1991, will er sich in seinem Haus im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel ausruhen. Er hat sich den Schlafanzug übergestreift, als ihn eine von außen durch das Fenster abgefeuerte Kugel trifft und die inneren Organe des Oberkörpers zerfetzt. Er stirbt. Durch ein weiteres Geschoss wird seine Frau Hergard verletzt.
Wer sind die Mörder von Düsseldorf? Das ist bis heute weitgehend offen. In den Rheinauen sichert der Spurendienst einen Tag später ein Handtuch, an dem die DNA von Wolfgang Grams festzustellen ist. Er hat sich später auf dem Bahnhof von Bad Kleinen der Festnahme durch Selbstmord entzogen. Grams gehört, wie die derzeit gesuchten Staub, Klette und Garweg, der dritten RAF-Generation an, der „Unbekannten“. Werden sie reden, wenn man sie fasst?
Der Rohwedder-Mord war die letzte tödliche Tat der Terroristen. Sieben Jahre danach erklärte die RAF ihre Auflösung.