„Suite View“ nennt die Künstlerin Jeannine Platz ihr Projekt. Sie malt Ausblicke aus Fenstern von Luxushotels auf der ganzen Welt.
Hamburg.
Einen Pinsel hat Jeannine Platz nie im Gepäck, wenn sie von Hotel zu Hotel reist. Dafür aber bis zu 30 Kilogramm Farbe. Nur mit ihren Fingern tupft sie die Ölfarbe auf die Leinwand, die am Boden der Suite des erst vor wenigen Wochen eröffneten Hotels The Westin in der Hamburger Elbphilharmonie liegt. Sie blickt aus den bodentiefen Fenstern hinaus über die Dächer der Hafencity und Speicherstadt, dann wischt sie mit ihrer Hand die grauen Wolken am Himmel auf ihrem zwei mal ein Meter großen Panorama nach.
„Meine Hand ist meine Farbpalette“, sagt die Hamburger Künstlerin. Gerade entsteht das 42. von insgesamt 50 geplanten Bildern ihres Kunstprojekts „Suite View“. Die 43-Jährige malt die Ausblicke aus Zimmern von Luxushotels auf der ganzen Welt, 33 Länder und fünf Kontinente hat sie dafür bereits bereist.
Bester Ausblick aus Nobelsuiten
Die Serie führte Platz in den vergangenen eineinhalb Jahren unter anderem in das Intercontinental am New Yorker Times Square, in das Hilton on Park Lane in London, das Mandarin Oriental in Shanghai, das Hilton in Mexico Stadt und das Adlon Kempinski in Berlin. Gerade erst ist sie aus Kapstadt zurückgekehrt, wo sie den Ausblick aus dem Fünf-Sterne-Hotel Atlantic Suites Camps Bay auf den Atlantischen Ozean eingefangen hat.
Ihre „Sehnsucht nach Weite und Ferne“ hat die Künstlerin zu dem Projekt inspiriert. Früher malte die Wahlhamburgerin, die ihr eigenes Atelier im Stadtteil Ottensen hat, vor allem Hafenmotive. „Ich wollte den endlosen Horizont an verschiedenen Orten auf der Welt zeigen, den ersten Blick am Morgen und den letzten vor dem Schlafengehen erhaschen.“ Geeignete Plätze dafür fand sie in den Nobelsuiten rund um den Globus. „Die Luxushotels stehen an den Orten mit dem besten Ausblick.“
Das Bild entsteht Stück für Stück aus dem Gefühl
Auf ihren Reisen folgt Platz immer dem gleichen Arbeitsritual. Mit einer weißen Leinwand schließt sie sich für wenige Tage in der Hotelsuite ein, meistens ohne vorher den Ausblick zu kennen. „Viele Hotels bilden den Ausblick nicht auf ihrer Internetseite ab“, sagt Platz, die sich das Malen selbst beibrachte. Dann wird das Hotelzimmer zum temporären Atelier. „Ich nehme die Atmosphäre der jeweiligen Stadt in mir auf und entscheide über die Komposition des Bildes. Welche Stimmung das Bild wiedergeben wird, ob es ein Tagbild oder eine Nachtimpression wird, weiß ich vorher nicht.“ Sie beginnt damit, den Horizont und den Himmel zu malen. Skizzen fertigt sie vorher nicht an. „Das Bild entsteht Stück für Stück aus dem Gefühl heraus. Ich male, was ich fühle.“
Dabei richte sich das Bild nach der Zeit, die sie von dem jeweiligen Hotel zur Verfügung gestellt bekommt, sagt Platz. Meistens seien das zwei bis drei Nächte. „In der Zeit muss das Bild auch fertig werden.“ Die Hotels überlassen Platz die Suite umsonst. Dafür bekommen sie ein Foto des fertigen Werks, das sie für Werbezwecke nutzen können, und das Vorkaufsrecht für das jeweilige Bild.
Bilderserie hat hohe Reisekosten verursacht
Gestartet hat Platz ihr Projekt „Suite View“ im Februar 2014 in Hamburg. „Mein erstes Bild war der Blick aus dem Rainvilles Elbterrassen, ein Panorama von Elbe und Hafen. Es war eine regnerische Nacht, und die Lichter haben so wunderbar geleuchtet.“ In ihrer Wahlheimatstadt hat die gebürtige Hannoveranerin, die auch als Kalligrafin Schriftzüge und Logos für Unternehmen wie Chanel, Montblanc oder Agent Provocateur verfasst, gleich acht Luxushotels besucht. So zum Beispiel auch das Vier Jahreszeiten, das Louis C. Jacob und das Le Méridien.
Anfang Mai kommenden Jahres wird Jeannine Platz ihre Bilderserie im The Westin in der Elbphilharmonie ausstellen. „Die Idee des Projekts hat im Hamburger Hafen angefangen, als ich von einer Reise auf einem Containerschiff zurückkam. Hier muss das Projekt auch enden“, sagt die Künstlerin. Zwischen 4000 und 8000 Euro kosten Platz-Panoramen. Schließlich hat ihre Bilderserie hohe Reisekosten verursacht. Zwei Werke der Zimmeraussichten habe sie bereits verkauft. „Die Hamburger Binnenalster gesehen aus dem Vier Jahreszeiten und das Panorama rund um das Riesenrad ,London Eye‘ aus dem Londoner Hilton Hotel.“
Chicago, Wien und Abu Dhabi stehen auf ihrem Programm
Ob sie nicht langsam genug vom Reisen habe? Schließlich warten in Hamburg ihr Mann und die zwei kleinen Töchter, acht und zehn Jahre alt, auf die 43-Jährige. „Es gab einen Moment, da dachte ich mir, ich habe für das Projekt schon fünfmal die Erde umrundet, bin Hunderttausende von Kilometern gereist, es reicht. Doch jetzt wünschte ich, es würde ewig so weitergehen.“ Unterstützung bekomme sie dabei von ihrer Familie. „Meine Kinder und mein Mann lassen mich meine Wege gehen. Wenn ich aber zu Hause bin, dann bin ich es auch voll und ganz.“
An diesem Tag liegt der Ausblick aus dem Westin in den letzten Zügen. Zu dem Panorama hat Platz einen ganz persönlichen Bezug. Auf dem Bild sind Speicherstadt, Hafencity und die Elbbrücken zu sehen. „Über die Elbbrücken bin ich gefahren, als ich vor 16 Jahren nach Hamburg zog.“ Damals begann sie zunächst ein Schauspielstudium, trat sogar am Hamburger Ohnsorg-Theater auf, bis sie sich voll und ganz auf die Malerei konzentrierte. „Der Blick von den Elbbrücken auf die Stadt hat mich fasziniert. Ich wusste, hier bin ich zu Hause. Das war ein ganz besonderer Moment.“
Zahnbürste als Malwerkzeug
Auch das Panorama zu malen, war für die Künstlerin ein besonderes Erlebnis. Als erster Gast durfte sie noch vor der offiziellen Eröffnung des Hotels in eine der Suiten im 19. Stock der Elbphilharmonie. Einen Tag lang ließ sie sich von dem Blick über Elbe und Alster vom neuen Wahrzeichen der Hansestadt inspirieren, setzte erste Akzente für ihr Bild. Die letzten Details macht sie an diesem Tag mit einer Zahnbürste. Mit der spritzt sie weiße Farbpunkte über das Hafenpanorama. „Die Lichtakzente“, sagt Platz. Sie freut sich schon auf ihr nächstes Werk. Chicago, Wien, Abu Dhabi, San Francisco und Cannes stehen unter anderem noch auf dem Programm.