Brüssel.
In keiner anderen europäischen Großstadt werden so viele Gewaltverbrechen beobachtet wie in Brüssel. Der Stadtteil Anderlecht und weitere Vororte sind zu No-Go-Areas geworden. Dort tobt die Straßenkriminalität . Die belgische Regierung möchte nun hart durchgreifen.
Die Bronx von Brüssel heißt Anderlecht. Die Deutschen kennen den Stadtteil nur als Sitz des gleichnamigen Fußballvereins, das internationale Personal der Europa-Kapitale verirrt sich nur ausnahmsweise dorthin. Im Schatten des Stadions aber tobt die Straßenkriminalität. Auch in anderen Vororten sind regelrechte No-Go-Areas entstanden, Gegenden, in denen selbst Polizisten Opfer von Gewalt werden.
Eine französischsprachige Fachhochschule ist die ständigen Überfälle auf ihre Studenten leid. Man werde vom Standort Anderlecht umziehen. Die belgische Regierung ist alarmiert und will mit harter Hand reagieren. Staatsanwaltschaft, Polizei und der Brüsseler Gesamt-Bürgermeister haben sich geeinigt. „Null Toleranz“ für Gewalt und Jugendkriminalität.
Den Anfang macht Anderlecht, doch es brennt auch woanders. Am vergangenen Wochenende wurde ein Polizist im Stadtteil Laeken ins Bein geschossen. Vermutlich aus einer Kalaschnikow. Das Sturmgewehr ist auf dem Schwarzmarkt schon für 50 Euro zu haben. „Unser Ziel ist es, ein Grundgerüst zu schaffen, das bei Bedarf ausgeweitet werden kann“, sagte die belgische Innenministerin Annemie Turtelboom der flämischen Tageszeitung De Morgen.
Parteien fordern einheitliches Konzept zur Kriminalbekämpfung
Wegen der zersplitterten Zuständigkeiten – Brüssel besteht aus 19 Einzelgemeinden und ist in sechs Polizeibezirke auftgeteilt – gibt es keine verlässlichen Zahlen über die Entwicklung. Doch eine Umfrage der EU-Kommission ergab schon vor zwei Jahren: In keiner anderen europäischen Großstadt beobachten die Menschen so viele Gewaltverbrechen in ihrem Viertel. Immer wieder machen Überfälle auf EU-Bedienstete und Diplomaten Schlagzeilen. Unstrittig ist auch, dass die Brutalität zugenommen hat.
„Wir können keine einzige No-Go-Zone akzeptieren“, sagt Justizsprecher Jos Colpin. Die Polizei- und Gerichtsstrukturen müssten, wo nötig, verstärkt werden. Die Parteien fordern ein einheitliches Konzept zur Kriminalitätsbekämpfung. Voraussetzung ist nach Ansicht von Experten aber, dass ganz Brüssel zur einheitlichen Polizeizone wird. Die Bürgermeister der Einzel-Kommunen fürchten indes um ihre lokale Macht. Man brauche mehr Polizisten, nicht eine Reform der Strukturen, sagt Philippe Moureaux, Bürgermeister der besonders problematischen Gemeinde Molenbeek. Alles sei eine Frage des Geldes, und das sei schlicht nicht vorhanden.
Unterdessen machen die Brüsseler Polizeigewerkschaften gegen die zunehmende Gewalt mobil. Auf einer ersten Demonstration forderten sie diese Woche konkrete Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz, Aufstockung des Personals – die Rede ist von 600 zusätzlichen Beamten – sowie ein härteres Durchgreifen der Justiz. Streiks und andere Aktionen sollen in den nächsten Tagen folgen.