Nastya S. wurde auf ihrer Flucht aus der Ukraine nach Deutschland Opfer des Bombenangriffs auf den Bahnhof von Kramatorsk am 8. April 2022. Rund 50 Menschen starben dabei. Es gab mehr als 100 Verletzte. Die damals 19-Jährige selbst überlebte schwer verletzt.
Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum zweiten Mal. Zahlreiche Menschen sind seitdem geflüchtet – unter anderem nach Deutschland. Wir haben mit Geflüchteten gesprochen und wollen ihre Geschichten anlässlich des traurigen Jahrestages in einer Artikel-Serie erneut erzählen.
In Teil 3 unserer Reportage-Reihe erzählt Nastya von ihrer Bein-Amputation und wie sie wieder ins Leben zurückfand. Bereits in Teil 1 berichteten wir, wie unbeschwert Nastyas Leben war, bevor die Russen ihren Angriffskrieg starteten, und wie es dazu kam, dass die Ukrainerin am Bahnhof von Kramatorsk landete (hier geht es zum Artikel). In Teil 2 schilderte die junge Frau den Moment des Bombenangriffs im Detail und wie sie ins Krankenhaus kam (den Artikel findest du hier).
Nastyas Flucht aus der Ukraine: „Bitte retten Sie mein Bein“
Ihre erste OP hatte Nastya wenige Stunden nach dem Bombenangriff. Kurz danach war klar: Sie muss unbedingt in ein Krankenhaus nach Dnipro, der viertgrößten Stadt in der Ukraine, verlegt werden. Dort werde man ihr besser helfen können, hieß es. Sie fühlte sich schlecht, aber ihr zerfetztes Bein konnte zunächst gerettet werden. Noch in derselben Nacht ging es mit dem Auto nach Dnipro. „Ich hatte schrecklichen Durst und die Fahrt dauerte gefühlt ewig“, erinnert sich die Ukrainerin zurück.
In Dnipro endlich angekommen, hatte Nastya nur einen Wunsch: „Bitte retten Sie mein Bein“, flehte sie die Ärzte an. Die junge Frau wurde sofort in den OP-Bereich gebracht. Nastyas Zustand war weiterhin sehr schlecht. „Wir tun alles, was wir können“, versprachen ihr die Ärzte. Zunächst gelang es den Medizinern, ihr Bein zu bewahren. Nastya hatte die zweite OP gut überstanden. „Und sie sagten, dass es eine Chance gibt, dass mein Bein erhalten werden kann.“
Nastya muss notoperiert werden
Doch dann folgte der Schock: In der Nacht verschlechterte sich ihr Zustand erneut, sie verlor langsam das Bewusstsein. Not-OP! Als Nastya am 10. April 2022 aufwachte, stellte sie fest: „Mein Bein war nicht mehr da.“ Sie hatte Schmerzen. Ihr war übel. „Ich dachte schon, dass das passieren kann“, berichtet sie von ihrer dunklen Vorahnung. Von der Hüfte abwärts wurde ihr linkes Bein amputiert.
Es folgten zwei weitere Operationen. Bis zum 7. Mai 2022 blieb sie im Krankenhaus in Dnipro. Dann wurde Nastya mit dem Zug nach Lwiw (Polen) gebracht. Von dort aus ging es weiter nach Deutschland. Hier kam sie am 9. Mai 2022 an – und das hatte sie vor allem einer Frau zu verdanken. Eine Privatperson aus Hattingen (NRW) hatte von Nastyas schlimmem Schicksal gehört und organisierte einen Platz im Krankenhaus sowie den Transport nach Deutschland. „Sie heißt Mira. Ich konnte es kaum glauben, dass jemand, der mich nicht kennt, sich so viel Mühe gibt.“
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Nastya kämpft sich in Deutschland zurück ins Leben
Zunächst landete Nastya mit ihrer Mutter zusammen in Cottbus (Brandenburg). In einem Krankenhaus dort konnte sie sich von den Strapazen der bisherigen Reise und der Flucht aus der Ukraine erholen. Per Krankenwagen ging es schließlich in das Uniklinikum Essen (NRW). Dort blieb sie noch drei Wochen in stationärer Behandlung – bis ihr Bein einigermaßen verheilt war. Währenddessen suchte Mira für sie eine Wohnung in Essen.
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In Essen-Holsterhausen lebte Nastya allein, schlägt sich tapfer durchs Leben. Sie arbeitete viel mit Psychologen zusammen, um die schwere Situation irgendwie zu verarbeiten. Ihr amputiertes Bein wurde durch eine Prothese ersetzt. Diese wird mit einem Gürtel an ihrer Hüfte fixiert. Zusammen mit Physiotherapeuten hat sie das Laufen neu gelernt.