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Debatte um gefährliche Meningokokken B-Impfung

Debatte um gefährliche Meningokokken B-Impfung

Das eigene Kind sterben zu sehen, ist für Eltern schier unerträglich – und normalerweise nichts, was sie mit Fremden teilen wollen.

London. 

Aber in den vergangenen Tagen und Wochen veröffentlichten einige Eltern in Großbritannien Bilder ihrer schwerst kranken, sterbenden Kinder. Sie weisen damit auf eine Krankheit hin, die in ihren Augen nicht genug Beachtung findet: Meningitis B, also einer Infektion mit Meningokokken B. Diese Bakterien können eine lebensgefährliche Hirnhautentzündung oder Blutvergiftung auslösen. Betroffen sind meistens Kinder.

Die teils grausigen Bilder der sterbenden Kinder haben Großbritannien alarmiert. Eine Petition an das Parlament, die eine Meningokokken-Impfung für alle Kinder „bis mindestens elf Jahren“ fordert, haben mehr als 800 000 Menschen unterzeichnet – das ist ein Rekord. Er sei „überwältigt“, sagte Lee Booth, der die Petition gestartet hatte, über die Unterstützung. Eine seiner beiden Töchter ist an Meningitis gestorben.

Einen zugelassenen Impfstoff gegen Meningokokken B gibt es noch nicht lange, seit Ende 2013. England ist das erste Land der Welt, dass die Impfung für Babys zum kostenlosen Standard gemacht hat. Mit zwei Monaten bekommen die Kinder die erste Spritze. Was die Eltern im Land erzürnt: Bei älteren Kindern wird die Impfung nicht nachgeholt, wenn die Eltern nicht selbst dafür zahlen.

In Deutschland dagegen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) bislang lediglich eine Impfung für „Personen mit erhöhtem Risiko für Meningokokken-Erkrankungen“, etwa Menschen mit angeborener Immunschwäche, mit engem Kontakt zu Meningitis-Patienten und Menschen, die dem Erreger im Labor ausgesetzt sein könnten. Nur gegen Meningokokken C wird bisher flächendeckend und gratis geimpft.

„Die Stiko hat entschieden, erst auf Grundlage von Daten zur tatsächlichen klinischen Effektivität der Meningokokken-B-Impfung eine Entscheidung bezüglich einer möglichen Routineimpfung bei Säuglingen, Kleinkinder oder anderen Altersgruppen zu treffen“, teilte die Stiko auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Mit diesen Daten rechne man in ein bis zwei Jahren. Bislang lägen nur Daten zur Fähigkeit des Impfstoffs vor, eine Reaktion des Immunsystems auszulösen.

Meningokokken lassen sich gut mit Antibiotika behandeln – wenn man die ersten Symptome richtig deutet und direkt zum Arzt geht. Das Problem ist, dass die Symptome eher unspezifisch sind, etwa Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und Schwindel. „Innerhalb weniger Stunden kann sich ein schweres, lebensbedrohliches Krankheitsbild entwickeln“, warnt das Robert Koch-Institut (RKI).

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland nach vorläufigen Angaben 287 Meningokokken-Erkrankungen an das RKI übermittelt, 9 mehr als 2014. Es gab weit mehr Fälle des Serotyps B als des Serotyp C, gegen den schon breit geimpft wird. Von 100 Patienten, die sich mit Meningokokken infizieren, sterben in Deutschland acht bis zehn.

„Von den 28 Todesfällen im Jahr 2015 waren 15 Kinder im Alter von 15 Jahren oder jünger“, teilt das RKI mit. Auch wenn die Patienten überleben, können die Folgen schlimm sein: Entwicklungsstörungen und Intelligenzminderung gehören dazu, Lähmungen, Krampfanfälle und Schädigungen des Innenohrs. Manchmal müssen Körperteile amputiert werden. Auch das Bild eines kleinen Mädchens ohne Hände kursierte jüngst in den britischen Medien.

Viele Experten empfehlen daher, Babys auch in Deutschland gegen Meningokokken B standardmäßig zu impfen. „Wir befinden uns momentan in einer Phase von abnehmenden Fallzahlen und somit ist es schwierig für die Stiko ein Impfprogramm zu empfehlen“, erklärt Ralph Köllges vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

In seinen Impfaufklärungen empfehle er die Impfung gegen Meningokokken B, könne aber weder Risikobewusstsein noch Finanzkraft der Eltern bewerten. Bisher erstatteten nur wenige Krankenkassen bis zum Alter von 24 Monaten die Impfung als freiwillige Extra-Leistung. Da es bei Jugendlichen einen zweiten Erkrankungsgipfel gebe, würde er sich eine Ausdehnung der Empfehlung auf alle Kinder bis 18 Jahre wünschen.

Ob die Petition in Großbritannien etwas bewegen wird, ist offen. Bereits ab 100 000 Unterschriften kommt eine Petition für eine Debatte infrage. Meningitis B wird Thema im britischen Parlament sein, heißt es auf der Webseite. Zunächst wollten die Parlamentarier aber mit betroffenen Eltern und Medizinern sprechen.

Britische Mediziner sind nicht alle der Meinung, dass der Impfschutz auf ältere Kinder ausgeweitet werden solle. Denn die Spritzen sind teuer – und dem Gesundheitssystem fehlt Geld. „Wir müssen sicherstellen, dass die am meisten gefährdete Gruppe – Kleinkinder – geschützt sind“, schreiben die Kinderärzte und Impfexperten Helen Bedford und David Elliman im „Guardian“, „und dass wir unser begrenztes Gesundheitsbudget weise und auf Grundlage verfügbarer wissenschaftlicher Belege ausgeben.“