In Kanada versuchen Bürger und Behörden verzweifelt, elf eingeschlossene Orcas vor dem Erstickungstod zu retten. Denn die Wale haben den Kontakt zum offenen Wasser verloren und sind Augenzeugenberichten zufolge völlig verängstigt.
Edmonton.
Das Drama der Natur spielt im Norden der Hudson Bay nahe einer kleinen Inuit-Gemeinde mit dem Namen Inukjuak. In der Sprache der arktischen Ureinwohner bedeutet das übersetzt „die Giganten“ und für viele der 1800 Dorfbewohner hat der Name dieser Tage einen besonders tragischen Klang bekommen.
Denn vor ihrer aller Augen kämpfen derzeit elf vom Eis eingeschlossene „Giganten des Meeres“ ums Überleben und seit Tagen versuchen die Inuit verzweifelt, die schwarz-weiß gefleckten Schwertwale zu retten. Jetzt haben sie auch die kanadische Regierung um Hilfe gebeten.
Ein Jäger der Inuit hatte die um Luft ringenden Meeressäuger am Dienstag etwa 30 Kilometer vor der Küste Inukjuaks in einer Öffnung im Eis entdeckt. Das Atemloch hat nur etwa die Größe eines Lastwagens und zieht sich aufgrund der Meeresströmungen immer weiter zu. Um das Loch herum hat es Eis so weit das Auge reicht.
Bei der Robbenjagd vom Eis überrascht
Der Bürgermeister von Inukjuak vermutet, dass die Tiere bei der Robbenjagd vom Eis überrascht wurden. „Das Eis kam in diesem Jahr wegen der ungewöhnlich warmen Temperaturen später als normal und dann auf einmal ganz plötzlich“, berichtete Peter Inukpuk im kanadischen Sender CBC.
Mittlerweile haben die Wale den Kontakt zum offenen Wasser verloren und sind Augenzeugenberichten zufolge völlig verängstigt. Immer wieder tauchen sie für eine längere Zeit ab, offenbar auf der Suche nach der offenen See. Danach tauchen sie abwechselnd doch wieder am Loch auf und schnappen panisch nach Sauerstoff
Inuit erschießen Eisbär
Mindestens einer der Wale hat sich bei den Tauchmanövern an den scharfen Kanten des Eises verletzt und blutet stark, berichteten Bewohner, die sich bis auf etwa drei Meter dem Atemloch nähern konnten. Offenbar hatte es vor zwei Tagen auch ein Eisbär auf die geschwächten Tiere abgesehen; er wurde von den Inuit erschossen.
Mit Kettensägen und Stemmeisen versuchen die Bewohner, das Atemloch so lange wie möglich offen zu halten, doch die Temperaturen sollen auf -30 Grad fallen und das Eis gefriert immer schneller. „Ohne Hilfe von außen werden wir die Wale auf Dauer nicht retten können“, glaubt der Bürgermeister. An die kanadische Regierung appellierte er, einen Eisbrecher zu entsenden, um den Walen einen Fluchtweg zu schaffen.
Fischereibehörde schickte ein Expertenteam
Die Fischereibehörde Kanadas schickte gestern ein Expertenteam in die entlegene Region. Inukjuak liegt etwa 1500 Kilometer nördlich von Montréal und ist im Winter nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Wissenschaftler sollen jetzt herausfinden, ob es überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, die eingeschlossenen Wale zu retten.
Der nächste in der Region kreuzende Eisbrecher ist wahrscheinlich zu weit entfernt, um rechtzeitig in das Geschehen eingreifen zu können. Und so hilft womöglich nur noch Beten. „Wir alle hoffen, dass sich der Wind dreht und das Treibeis von der Küste wegfegt“, betonte der Bürgermeister.
Fahrrinne vom Eis befreien
Orcas kommen im Januar normalerweise nicht in der Hudson Bay vor, da sie sich im Winter in wärmeren Gewässern aufhalten. Biologen glauben, dass die Klimaerwärmung die Orcas in immer nördlichere Gebiete lockt. Derzeit leben in der östlichen Arktis zwischen 250 und 1000 erwachsene Tiere. Von den Inuit werden sie wegen ihrer geringen Zahl und dem ungenießbaren Fleisch nicht bejagt.
Es ist nicht das erste Wal-Drama dieser Art. Vor 25 Jahren nahm vor der Küste Alaskas ein ähnlicher Vorfall ein glückliches Ende. Damals waren drei Grauwale tagelang vom Eis eingeschlossen gewesen, am Ende konnte ein Eisbrecher der US-Küstenwache ihnen eine Fahrrinne ins offene Meer freimachen. Die spektakuläre Rettungsaktion wurde letztes Jahr in dem Hollywood-Streifen „Der Ruf der Wale“ verfilmt.