Veröffentlicht inPanorama

Retro-Spielzeug – Was wurde aus Diddl-Maus, Slime und Jo-Jo?

Retro-Spielzeug – Was wurde aus Diddl-Maus, Slime und Jo-Jo?

gameboy1b.jpeg
Foto: Scoopshot / Emily P.
Zaubertroll, Diddl-Maus, Slime und Jo-Jos. Erinnern Sie sich? Bestimmt. Kommen Sie mit auf eine Reise durch die Spielzeugwelt vergangener Jahrzehnte.

Essen. 

Bis Ende der 90er war es als Kind beinahe uncool, kein Jo-Jo zu besitzen. Jetzt zeigen sich fast nur noch Profis bei Wettbewerben gegenseitig die neuesten Tricks. Das Jo-Jo ist nahezu von der Bildfläche verschwunden. Genauso wie andere obligatorische Begleiter einer Kindheit in den 80ern und 90ern:Treppenspiralen, Diddl-Maus, Aufzieh-Autos, der glitschige Glibberklumpen Slime, Rollschuhe, Freundschaftsbändchen, Baukästen, Stickeralben, Gameboys, Gummitwist, Monchichi-Äffchen oder auch Tamagotchis. Was wurde aus diesen Kultspielzeugen?

Was wurde aus Gummitwist, Monchichi und Slime?

Darauf gibt es nicht nur eine Antwort. Der ehemalige Pädagogik-Professor und Spiel-Forscher Hein Retter (79) sagt: „Elektronisches Spielzeug hat traditionelles abgelöst.“ Eine andere Möglichkeit ist: Vieles ist gar nicht verschwunden, sondern liegt nach wie vor in den Regalen der Spielzeugläden. Vieles wird, wie zum Beispiel das Jo-Jo, nicht mehr von der breiten Masse, sondern von Spezialisten benutzt. Anderes wurde schlicht durch technischen Fortschritt abgelöst. Wieder anderes steht kurz vor seinem Comeback. Kultspielzeug

Variante 1: Vieles ist nicht ganz verschwunden

„Es gibt immer Trendartikel“, sagt Dana Walm (40), vom Dortmunder Spielwarengeschäft Lütgenau. Seit 20 Jahren verkauft sie Spielzeug und hat schon viele Trends beobachtet. Die Treppenfedern zum Beispiel, „waren nie wirklich weg“ sagt sie. Genauso wenig wie der glitschige Schleimklumpen Slime. „Der ist einfach nicht tot zu kriegen“, sagt die Spielwarenverkäuferin, „er kommt immer wieder.“ Diese Sachen seien schlicht „zeitlos und gut“ und garantierten eine einfache Beschäftigung.

Der Zauberwürfel hat sich unter den Kultobjekten etabliert. Auch wenn er kaum noch in deutschen Kinderzimmern zu finden ist, sondern eher von Spezialisten bespielt wird. Die Speedcubing-Wettbewerbe zeugen davon.

Auch Flipperautomaten sind in eine Nische gewandert: Anfang des Jahres wurde, als Zeugnis einer untergegangenen Kneipenkultur, im Automobil-Museum in Dortmund ein Flipper-Museum eröffnet. Der Ableger dieses Kultes – die tragbaren, mechanischen Mini-Flipper für Kinder, sind indes nahezu ganz verschwunden.

Indiaca wurde 1972 vom Deutschen Sportbund als „Trimmgerät des Jahres“ ausgezeichnet. Kinder spielten es in den Uterrichtspausen, Erwachsene im Park. Seit 1998 wird er bei offiziellen Indiaca-Meisterschaften von Profis übers Netz gespielt und ist ansonsten so gut wie von der Bildfläche der Freizeitaktivitäten verschwunden. Hoch im Kurs als Beschäftigung für den Park steht seit einigen Jahren bei Alt und Jung die Slackline, mit der jeder mit etwas Gleichgewichtssinn zum Seiltänzer wird.

Variante 2: Spielzeug als Modeerscheinung 

„Jedes Jahr gibt es ein Teil, das total hip ist und dann schnell wieder in der Versenkung verschwindet“, sagt Spielwarenexpertin Dana Walm. Waren es im vergangenen Jahr noch die Loom-Bänder, davor die „Skubidous“ beherrschte noch vor zehn Jahren fast jedes Kind die Kunst des Freundschaftsbändchen-Knüpfens. Man erinnere sich auch an Wolfgang Petrys Unterarm.

Dana Walm: „Und jede Zeit bringt ihre eigenen Sammelsachen heraus.“ Wie Mode sei das. In den 90ern waren es die kleinen Schnuller aus Hartplastik, die von Tornistern, Federmäppchen, aber auch den Schlüsselbunden Erwachsener baumelten. Heute prägten verstärkt Kinohits die Begehrlichkeiten. Ersehntes Sammelobjekt kleiner Mädchen weltweit zur Zeit: Die Darsteller der Disney-Produktion „Eiskönigin“ von 2013.

Und damals? Da hüpfte Disneys Gummibären-Bande über die Bildschirme (deutsche Erstausstrahlung 1988). Zwar gab es auch zu dieser Zeit schon Sammelobjekte, aber nicht in dem Umfang wie heute. Übrigens: Der Disney-Channel strahlt die Gummibären-Bande noch immer regelmäßig aus.

Diddl-Hersteller passte sich veränderten Spielgewohnheiten an

Elsa und Anna, die Minions, Filly-Pferdchen und Capt’n Sharky: Sie haben das Lizenz-Produkt der 90er verdrängt. die Diddl-Maus. Was 1991 als Grußkartenserie begann, eroberte mit den Jahren Kaffeebecher, Plüschtiere, Turnbeutel, Federmäppchen, Bettwäsche und Briefpapier. Es gab kaum ein Produkt, von dem nicht die süße Springmaus lächelte.

Der Diddl-Hype steckte auch diejenigen an, die dem Kindesalter längst entwachsen waren. 2014 stellte der Hersteller Depesche die Produktion ein: Die Nachfrage reichte nicht mehr aus. Stattdessen besinnt sich das Unternehmen auf veränderte Spielgewohnheiten: „Kinder bleiben dem Spielzeugmarkt nicht mehr so lange erhalten“, sagt Spielwarenfachfrau Dana Walm. Spätestens mit zwölf Jahren wendeten sie sich von ihm ab und Computern zu. „Früher haben wir in dem Alter noch wirklich gespielt“, sagt sie, „zum Beispiel mit Puppen.“

Wiedergeburt der Trolls 2016

Dem hat sich der Spielzeugmarkt und auch Depesche angepasst. Das norddeutsche Unternehmen konzentriert sich jetzt mit „Top-Models“, „einem Sortiment für junge Glamour-Girls“, wie es in der Produktbeschreibung heißt, auf die 8- bis 14-Jährigen.

Manches kommt aber auch immer wieder: Ende des Jahres bringt DreamWorks in Erinnerung an die Zaubertrolle der 90er Jahre den Film „Trolls“ in die Kinos. Das Unternehmen Hasbro plant in diesem Zuge eine Neuauflage der Kultpuppen.

Varinante 3: Basisspielzeug reicht heute kaum noch aus 

Die klassischen Aufzieh- und Matchbox-Autos sind heute nahezu verschwunden. Pädagoge Hein Retter sieht die Ursachen dessen vor allem darin, dass es inzwischen „attraktive Kommunikationsangebote per Knopfdruck“ gibt. Also Fernsehen, Smartphones, PC, Wii etc. Durch die multimediale Alltagswelt, die sich schon den Kleinsten eröffne, sei das Spielen zeitlich stark eingegrenzt. „Je stärker sich dieser Trend verbreitet“, sagt er, „desto weniger wird traditionell gespielt.“

Was bis vor einiger Zeit noch als Qualitätsmerkmal galt – zum Beispiel die Schwere oder Haptik eines Matchbox-Autos oder eines Holzzuges – sei heute keines mehr, so Retter. Dana Walm ergänzt: „Einfach nur mit kleinen Blechautos zu spielen reicht heute nicht mehr aus.“ Alles sei technisierter und „irgendwie moderner“. Viele der klassischen Spielsachen hätten jetzt multimediale Zusatzfunktionen. Zum Beispiel dazugehörige Apps oder Internetplattformen.

Auch Eindrücke des Marktforschungsunternehmens Iconkids & Youth von der Spielwarenmesse 2016 in Nürnberg bestätigen: Klassisches Spielzeug (wie zum Beispiel die Holzeisenbahn) allein reicht nicht mehr. Einer der Trends auf der Spielmesse: Hersteller wie Brio oder Schleich bieten komplette Spielwelten, also Ergänzungen, rund um das eigentliche Spielzeug.

Lego stand trotz Kultstatus‘ kurz vor dem Konkurs

Sogar das dänische Unternehmen Lego, das als Spielzeugklassiker gilt (die Plastik-Steine gibt es seit 1949) musste 2003 beinahe Konkurs anmelden. Es hatte die klassischen Kinderthemen wie die Duplo-Reihe aufgegeben und alles auf Star Wars und Harry Potter gesetzt. Erst als man sich wieder rückorientierte und das Sortiment um die Friends-Reihe – eine Sparte eigens für Mädchen – erweiterte, stimmten die Zahlen wieder. Übrigens: 2011 lief das Patent auf Lego-Steine ab und viele Hersteller brachten Lego-kompartible Steine auf den Markt. Laut Beobachtungen des Marktforschungsinstituts Ikonkids & Youth ist das Interesse der Verbraucher inzwischen schon wieder abgeflacht.

Eine andere beliebte Beschäftigung, die fast schon vergessen galt, kommt zur Zeit wieder: „Der Trend geht zurück zum Familienspieleabend„, sagt Dana Walm. Memory, Apfelbäumchen, Monopoly (Walm: „natürlich ergänzt durch Apps“) sind zurückgekehrt an den familiären Küchentisch. Auch das Flohspiel und „Spitz pass´ auf“ werden nach wie vor gekauft, berichtet die Spielzeugexpertin. „Das sind Spiele, die sind simpel, schlicht und schön.“ Aber oft kauften das dann die Omas: „Es ist immer gut, wenn die eigenen Kinder auch schon damit gespielt haben.“

Variante 4: Spielzeug, das überholt wurde 

Auch dieses Relikt vergangener Jahrzehnte ist verschwunden: das Tamagotchi. 1996 bis 1999 war es ein absoluter internationaler Verkaufsschlager. Durch sein ständiges Zuwendungsbedürfnis, sorgte es dafür, dass ihre Besitzer sich ständig mit ihm beschäftigten und trieb Pädagogen zur Verzweiflung. 2013 versuchte der japanische Hersteller Bandai das kleine Pixel-Ei widerzubeleben. Relativ erfolglos. Vermutlich ist die Konkurrenz durch Smartphones und Apps, die nach dem Vorbild des Tamagotchis ständig Aufmerksamkeit ziehen, doch zu stark.

Gameboys und ferngesteuerte Autos wurden beide technisch überholt. Letztere wurden durch Drohnen ergänzt. Bei Preisen knapp über 20 Euro sind die Flugobjekte inzwischen für die Masse erschwinglich.

Variante 5: Alte Schulhofspiele

Bleiben noch die alten Schulhofspiele: „Himmel und Hölle“ zum Beispiel. Wo sind sie hin? Wenn sie nicht gerade durch spezielle Projekte, wie an einer Mülheimer Hauptschule durch die bürgerschaftliche Initiative „Alte Schulhofspiele neu beleben“, gefördert werden, sind sie fast vergessen. Hein Retter sagt dazu: „Die nahezu uneingeschränkte Verfügbarkeit der multimedialen Welt zieht Zeit ab von traditionellen Dingen.“

Werden die nicht speziell im jeweiligen Schulprofil verankert und besonders gefördert, „stehen diese kleinen Geräte (also Smartphones) eben auch in den Schulpausen im Mittelpunkt.“ Aber: „Wir haben damals auf dem Schulhof mit Murmeln gespielt. Das hat in den 80ern auch schon keiner mehr gemacht.“

„Spielen ist etwas, das Kindern Freude macht“, definiert der Spiel-Forscher Hein Retter. Deshalb seien es trotz Werbung oder dem Versuch vieler Eltern, nur „sinnvolles“ Spielzeug in die Kinderzimmer zu bringen, „letztlich die Kinder, die die Nachfrage bestimmen“. Außerdem gebe es nach wie vor absolut zeitloses Spielzeug, das alle Trends und technische Fortschritte überdauere: zum Beispiel Bauklötze.