Jörg Hartmann beeindruckt im jüngsten Dortmunder „Tatort“
Wie kam die Familie von Kommissar Faber zu Tode? Das ist die große Frage, die den Dortmunder „Tatort“-Ermittler umtreibt. Jörg Hartmann macht aus dem Fahnder einen Kommissar Wütend. Seine Vorstellung in der jüngsten Folge „Eine andere Welt“ beeindruckt.
Essen/Dortmund.
Irgendwo müssen diese Aggressionen ja hin. Also reißt Faber das Waschbecken im Revier aus der Wand. Ein Schreibtisch ist seinen irritierenden Ausbrüchen bereits zum Opfer gefallen, und bei seinem dritten Auftritt beginnen wir diesen impulsiven Kommissar, der den Hintergründen des Unfalltods von Frau und Tochter immer noch nachspürt, langsam zu verstehen.
Nach den Fragezeichen, die der Dortmunder „Tatort“ in seinen beiden ersten Fällen produziert hat, setzt er jetzt das erste Ausrufezeichen: „Eine andere Welt“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr) von Jürgen Werner (Buch) und Andreas Herzog (Regie) ist jenseits der polizeilichen Psychoshow ein starker Krimi geworden.
Gleichwohl dürfte es uns schwerfallen, uns an die unorthodoxen Methoden dieses Peter Faber zu gewöhnen, der im mittlerweile riesigen „Tatort“-Ermittlerzirkus natürlich sein Alleinstellungsmerkmal sucht. Seine Sucht, sich geradezu physisch in den Täter hineinzudenken, treibt er bei der Simulierung einer Vergewaltigung in einem Auto mit seiner Kollegin Bönisch auf die Spitze – es kommt zu Handgreiflichkeiten.
Der harte, humorfreie und ehrliche Ermittler
Jörg Hartmann hat den Besessenen mit seiner brutalen Geradlinigkeit und dem Hass auf Heuchelei konsequent weiterentwickelt: Der ist nicht mehr die depressive Nervensäge, sondern der harte, humorfreie und ehrliche Ermittler, der kaum eine Miene verzieht, selbst wenn er die schärfsten Vorwürfe formuliert. Und doch gewährt Andreas Herzog diesem schwer greifbaren Mann auch Augenblicke des Mitfühlens: Wie Faber einem Vater, dessen Tochter ermordet wurde, unaufdringlichen Trost spendet, das ist wunderbar anrührend und sehr gut gespielt. Man muss ihn nicht lieben, aber aufregend ist dieser Typ durchaus.
Anja Schudt formt ihre Polizistin zum kraftvollen Gegenpol, gefangen in ihrem Doppelleben mit dem nervenden Gatten am Telefon und dem Callboy im Hotelzimmer. Die jugendliche Frische des verliebten Polizistenpärchens (Aylin Tezel, Stefan Konarske) im Team sorgt für Durchzug und bietet stets rechtzeitige Erholung von diesem therapiebedürftigen Ermittler-Duo. Das Quartett hat Zukunft.
Die Leiche schwimmt im Phoenixsee
Die Welt aus Schein und Sein, die Jürgen Werners Geschichte erzählt, ist wie gemacht für diese Kommissare, geradezu ein Spiegelbild ihrer Doppelbödigkeit. Eine 16-Jährige entflieht dem traurigen Familienleben in einer Hochhaussiedlung und mischt sich mit ihrer Freundin heimlich in die Partyszene der schicken Clubs und teuren Drinks, in der verwöhnte Schnöseljungs Regie führen. Der Ausflug endet tödlich, ihre Leiche schwimmt im Phoenixsee, den Ralf Noacks Kamera einen Tick malerischer erscheinen lässt, als er’s bisher in Wirklichkeit ist.
Wer nach Ruhrgebietsklischees fahndet, mag in den Eltern des toten Teenagers fündig werden, der Vater mit Bierpulle und Vokuhilafrisur, die Mutter als Aushilfsfriseurin, die den Nachbarn in der Küche die Haare schneidet, der Bruder ein mürrischer Rotzlöffel, der sich mit zwielichtigen Typen herumdrückt. Andreas Herzog bricht das Bild aber lieber ironisch, als es zu pflegen: „Wir haben in Dortmund eine Schickeria?“ fragt Faber – „Ja“, antwortet Bönisch, „das sind die, die ihre Bratwurst mit Messer und Gabel essen.“