Die letzten drei Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland sind abgeschaltet, am Samstag (15. April) wurden die AKWs vom Netz genommen. Doch ist das in Zeiten von Energiekrise und Krieg in Europa die richtige Entscheidung?
Das fragte Moderatorin Anne Will am Sonntagabend (16. April) in der ARD-Talkrunde. Ihr Gäste waren der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff (CDU), der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel, die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch und „Welt“-Journalistin Dorothea Siems.
Anne Will: Jahrelanger Streit um Atomkraft
Nach mehr als 60 Jahren gehen die AKWs in Deutschland vom Netz – in dieser Zeit stritten Gegner und Befürworter um die Daseinsberechtigung der Technologie. Und die Debatte reißt nicht ab, wie der Talk bei „Anne Will“ gezeigt hat.
Zu Beginn der Sendung rief ein kurzer Einspielfilm in Erinnerung, dass nicht nur einmal über die Abschaltung diskutiert wurde. Zunächst beschloss rot-grün bereits 2001 den Atomausstieg, ehe 2010 die Regierung von Angela Merkel die Laufzeit wieder verlängerte. Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 zwang die Regierung zum Umdenken – 2022 sollte das Ende für die AKWs in Deutschland bedeuten.
Durch den Krieg in der Ukraine entfachte ein neuer Streit um die Kernkraft – die AKWs sollten bis 15. April 2023 am Netz bleiben. Doch die Ampel zeigt sich uneinig. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will beispielsweise die Kraftwerke weiter in Reserve behalten.
Anne Will: „Energiepolitische Geisterfahrt“ der Ampel
Der bayerische Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) bezeichnete die Abschaltung der letzten drei AKWs als „energiepolitische Geisterfahrt“ der Ampelkoalition. In Europa schlage Deutschland einen ganz anderen Weg als alle anderen ein. „Das schwächt unser Land fundamental“, sagte Söder in den ARD-„Tagesthemen“.
„Das Gegenteil ist der Fall“, antwortet Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Der Atomausstieg sei lange beschlossen gewesen und nur für eine kurze Zeit hinausgezögert worden. „Wir sind gut über den Winter gekommen, wir hätten den Strom aus der Atomkraft gar nicht gebraucht“. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bezeichnete den längeren Betrieb als „Irrweg“. Der Analyse zufolge leiste die Atomkraft keinen relevanten Beitrag zur Energiesicherheit.
Auch FDP-Politiker Johannes Vogel teilt gegen den bayerischen Ministerpräsidenten aus. „Söder wechselt seine Positionen ja wie Unterhosen“. So verwies der FDP-Vize darauf, dass Söder 2011, noch in der Rolle als Umweltminister, mit Rücktritt gedroht hatte, sollte seine Landesregierung nicht spätestens 2022 aus der Kernenergie aussteigen. „So jemand Erratischem würde ich ungern Verantwortung für Energiepolitik anvertrauen“, sagte Vogel in Hinblick auf dessen Forderung, die Länder könnten in Eigenregie die Kraftwerke weiter betreiben.
Anne Will: Harald Lesch zerlegt Atomkraft
Einer, der sich ganz klar gegen die Atomkraft stellt, ist Wissenschaftler Harald Lesch. Als Anne Will den Astrophysiker mit Umfrageergebnissen konfrontiert, kontert Lesch: „Fragen Sie mal bei einem Flugzeug in Turbulenzen nach Atheisten“. Der Umfrage zufolge seien 59 Prozent der Deutschen für einen Weiterbetrieb der drei AKW, 34 Prozent dagegen.
Lesch bezeichnet die Atomkraft als eine „Technologie, die nicht versicherbar ist“. Es gebe nicht eine Gesellschaft auf der Welt, die Atomkraftwerke versichert. „Das sollte uns schon aus ökonomischer Sicht sagen: Finger weg, never again“, mahnt der Wissenschaftsjournalist.
Mit der „Hochrisikotechnologie“ habe man der zukünftigen Generation mit über 1900 verstrahlten Castor-Behältern, ein „Geschenk gemacht“. Und: Niemand spreche so gern darüber, dass die irgendwann noch unter Tage müssten. Sein Fazit zur Atomkraft: „Sackgassentechnologie“. Denn Europa laufe auf Klimaszenarien zu, in denen zum Beispiel Frankreich „Riesenprobleme“ bekommen werde. Für die 60 Reaktoren habe Frankreich jetzt schon kein Wasser zum Kühlen, im Sommer sehe das noch schlimmer aus.
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„Es wäre wichtiger, erneuerbare Energien einzusetzen“, mahnt Lesch weiter. Die Gesellschaft müsse sich da allerdings auf „natürliche Rhythmen“ einstellen – und nicht mehr auf die Verfügbarkeit von Energie rund um die Uhr.