Veröffentlicht inPanorama

Liebling, sie spielen unser Lied

Liebling, sie spielen unser Lied

Georg Hermens über Liebe in Rock und Pop: Lovesongs sind wie die besten Freunde – vielleicht sogar besser.

Erinnern Sie sich doch einfach mal an den ersten Kuss ihres Lebens! Oder an den ersten schmusig engen Tanz. Bestimmt erinnern Sie sich auch an das Lied, das sie da dabei gehört haben. Oder hören Sie jetzt gerade im Kopf den Song, den Sie und ihr Partner „unser Lied“ nennen? Musik ist der beste Träger von Erinnerungen. Von Gedanken an die Jugend, die vielen Hoffnungen, die erste Liebe. Musik ist das beste Vehikel für Gefühle: Wenn Melodie, Text und Liebe im Spiel sind, ist garantiert eine Gänsehaut dabei. Unsere liebsten Liebeslieder speichern unendlich viele Bilder und Gefühle aus unserem Leben. Mehr noch. Sie binden zwei Menschen aneinander, bilden den Teil der so wichtigen gemeinsamen Erinnerungen.

Musik dringt tief in unsere Gefühsschichten

Bestsellerautor Bas Kast („Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt“): „So etwas wie ein gemeinsamer Song ist ein Teil von vielen Sachen, die man gemeinsam hat, mit denen man sich abgrenzt von anderen. Mit dem haben wir uns verliebt, er löst gemeinsame Emotionen aus.“Musik dringt tief in die menschlichen Gefühlsschichten. Man weiß, dass Musik demenzkranke und im Koma liegende Menschen für kurze Momente wieder „ins Leben holen kann“: Wenn die Musik sie an etwas erinnert und berührt. Die Liebe in Rock- und Popsongs ist so allgegenwärtig, dass die Stars sogar oft und (teilweise) ironisch hartnäckig behaupten müssen: „Nein, es geht überhaupt nicht um Liebe“. „This is not a love song“ (Dies ist kein Liebeslied) sang die Band von Sex-Pistols-Sänger und Oberpunk John Lydon. Und Ten CC behaupteten steif und fest: „I´m not in love“ (Ich bin nicht verliebt).

Immer nur das Eine

„Seit Adam und Eva hat sich so gut wie nichts verändert“, meint Rolling Stone Keith Richards zum Thema Love Songs. Will meinen: Es geht immer um die gleiche Geschichte, sie wird nur jedes Mal neu, aus einem anderen Blickwinkel, mit anderen Worten erzählt – und mit unterschiedlicher Musik. Früher die Stones, heute Tokio Hotel. Auch das Ziel bleibt stets das gleiche: Das Objekt der Begierde für sich zu gewinnen und an sich zu binden. Dementsprechend antworten viele Bands auf die Frage, warum sie Musik machen: Um die tollsten Mädels zu beeindrucken… Deshalb möchten wir gerne glauben, dass Musiker jede Frau (rum)kriegen, weil sie so herzzerreißende Songs schreiben können. Aber nix da! Paul Anka sagte zum Beispiel über die berühmte „Diana“ (ein Highschool-Mädchen, das Diana Ayoub hieß), die ihm 1957 einen Nr.1-Hit bescherte: „Ja, ich habe den Song geschrieben, um Diana zu beeindrucken. Aber sie war nicht beeindruckt – bis der Song sich millionenfach verkaufte.“ Neun Millionen Mal, genauer gesagt.

Die Kunst des Songschreibens

Nebenbei geht es natürlich auch um große Kunst. Und bei der Suche nach der Kunst findet jeder Songschreiber im günstigsten Fall seine ganz persönliche Art und damit auch sein spezielles Publikum. Wie sagte Schmusesänger Barry Manilow („Mandy“) so richtig: „Springsteen und ich sagen beide die gleichen Dinge, nur auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn ich sage ,Du fehlst mir, darling’, sagt Bruce wahrscheinlich ,Du fehlst mir, motherfucker’.“ Bruce lässt dazu die Gitarren krachen, und Barry lässt seine Schmeichlerstimme sprechen. Den Königsweg in die Charts und in die Herzen der Menschen gibt es nicht. Manchmal begeistert es die Massen, wenn beispielsweise Silbermond aus Bautzen ganz direkt texten: „Du bist das Beste, was mir je passiert ist.“ Andere sind hin und weg bei einer Zeile aus George Michaels erstem Solohit „Careless whisper“: „Guilty feet have got no Rhythm“ („Schuldige Füße haben keinen Rhythmus, können nicht tanzen“).

Echte Geschichten faszinieren

Wobei bis heute gilt: Authentische, echte Geschichten faszinieren die Menschen – nicht umsonst feierte Herbert Grönemeyer nach dem tragischen Krebstod von Frau und Bruder mit den sehr stark autobiographisch gefärbten Songs „Mensch“ und „Weg“ seine größten Erfolge. Und mit „Die Eine“ schaffte es die Kölner Hip-Hop-Band Die Firma dank einer aus dem prallen Leben gegriffenen Liebes-Geschichte auf Platz 2 der deutschen Charts. Alexander Tarboven alias Rapper Tatwaffe hatte seine Freundin Antje mit „Die Eine“ erst 1996 schwer beeindruckt und dann 2005 den Song zum Heiratsantrag umgetextet.

„Eine selbstgebrannte CD ist mehr wert als ein gefülltes Bankkonto“

Aber keine Bange: Nicht nur die Stars profitieren von den Love Songs – indem sie Ruhm, Ehre, die tollsten Frauen und üppige Tantiemen absahnen. Auch wir als Hörer sind Gewinner bei der Suche nach den schönsten Liebesliedern. „Eine selbst gebrannte CD ist mehr wert als ein gut gefülltes Bankkonto“, schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich in einem Artikel über beruflich erfolgreiche und unabhängige Powerfrauen – und wie sie eventuell zu erobern sind. Bas Kast kann das voll und ganz bestätigen: „Unsere normale Sprache ist rational, reicht also oft nicht aus, um auszudrücken, was wir empfinden. Wir können unsere Gefühle nicht 1:1 übersetzen. Wir greifen dann z. B. zu Gedichten. Das was ich empfinde, ist mehr als rationale Gedanken. Und es hilft auch die Sprache der Musik. Die drückt unsere Emotionen unmittelbarer und wahrhaftiger aus. Es ist ein Versuch zu zeigen: So empfinde ich für dich, wenn ich diese Songs höre, das sind die Empfindungen die ich habe…..“

„Songs sind die besten Freunde, die man haben kann“

Ganz gleich ob die selbst gebrannte CD die Angebetete dahinschmelzen lässt und Verliebtsein entflammt: Songs sind wie die besten Freunde, die man haben kann. Vielleicht sogar besser. Denn sie sind immer da, haben immer Zeit und hören dir zu. Sie erzählen zwar immer das gleiche – dafür aber auch zuverlässig das, was du hören willst. Du kannst sicher sein: Sie werden dich dein ganzes Leben begleiten. Auch wenn du sie vielleicht mal jahrelang aus den Ohren verlierst…