Die liberale Muslimin kam aus der Türkei. In Deutschland machte sie Karriere. Sie hat die Geschichte ihrer Familie aufgeschrieben. Jetzt kommt sie ins Fernsehen.
Essen.
Sie ist Muslimin, Feministin, Diplom-Psychologin, SPD-Politikerin, Buchautorin. Mit neun Jahren kam Lale Akgün aus der Türkei nach Deutschland und machte Karriere. Dabei fiel der Start im Land der Dichter, Denker und des Leberkäses gar nicht so leicht. Vorurteilsbehaftet und viel engstirniger als erwartet traten die Deutschen ihrer Familie aus dem liberalen Istanbul entgegen. Über die Zeit des Ankommens mit teils skurrilen Begegnungen unterschiedlicher Mentalitäten hat die 62-Jährige einen Roman geschrieben. Frei nach dem Buch strahlt die ARD einen Fernsehfilm aus, über den die Autorin mit Dagmar Hornung gesprochen hat.
Im Film „Leberkäseland“ geht es um den Neustart Ihrer Familie in Deutschland. Sie sind damals gerade neun geworden. Wie haben Sie die ersten Tage hier aus den Augen eines Kindes erlebt?
Das ist im Film ganz gut dargestellt – ein Eindruck fehlt allerdings. Ich komme aus einem Mittelmeerland. Dort gibt es nicht diesen „Indian Summer“. „Boah, ist das ein buntes schönes Land“, habe ich gedacht. Es war Herbst. Und ich erfreue mich jedes Jahr neu am Anblick der sich langsam verfärbenden Wälder. Unbekannt waren uns auch Drogerieläden. Mein Vater fand es interessant, dass diese in der DDR dem Kommunismus standhielten; meine Mutter, Jahrgang 1928, war entsetzt, dass montags die Friseure geschlossen hatten – und darüber, dass es Blumen aus dem Automaten gab. Im Vergleich zur Türkei, wo man rund um die Uhr einkaufen konnte, empfand sie Deutschland als Dienstleistungswüste.
Anders als Ihr Buch stellt der Film das Leben Ihrer Mutter, nicht das Ihrer Tante in der Vordergrund.
Ja, aber Buch und Film haben viele kleine und große Helden. Meine Mutter steht für den Verstand und den Erfolg, sie war die Machende, meine Tante steht für den Genuss und die Lebensfreude. Ich habe von beiden etwas.
Und von wem haben Sie die Freude am Erzählen?
Die habe ich von meinem Vater. Ich stamme aus einer Familie von Geschichtenerzählern. „Du hast so viel zu berichten, kannst du das nicht aufschreiben?“, wurde mir oft gesagt. So kam ich zum Buch. Ich möchte das Leben erzählen, unsere Geschichte, jenseits einer Schuldfrage.
Das tun Sie mit viel Humor…
Wenn wir wirklich Integration wollen, müssen wir über die Gefühlsebene kommen. Wir müssen mehr zusammen lachen. Das politisch Korrekte und die Betroffenheit sollten untergehen im Meer des Humors.
Besonders komisch im Film sind die Situationen, in denen Ihre Familie sich ganz anders verhält, als es Deutsche von Muslimen erwarten – etwa in der Metzgerei.
Und zum Teil ergeht es mir heute noch so. Bei mir wundert man sich oft, dass ich alleine reisen darf. Für Deutsche gibt es nur eine Sorte, nämlich orthodoxe Muslime. Warum steht zum Beispiel das Kopftuch überall symbolisch für den Islam? Ich bin eine überzeugte Muslimin, aber Kopftuchfresserin.
Was haben Sie gegen das Kopftuch?
Für mich ist es ein Zeichen der Frauenunterdrückung, Frauen werden zu Soldatinnen des politischen Islam gemacht. Aus dem Koran ist nicht abzuleiten, ob und wie Frauen ein Kopftuch tragen müssen. Anfang des Jahres gab es in der Presse ein Foto von mir, beim Beten hinter der Imamin der muslimischen Gemeinde Rheinland, ohne Kopftuch, aber dafür gemeinsam mit Männern. Das war für die Orthodoxen zu viel. Es gab einen Shitstorm, der mehrere Tage anhielt. Aber ich stehe dazu: Frauen dürfen Imamin (Vorbeterin) werden, Männer und Frauen dürfen zusammen beten, und die Frauen müssen beim Beten kein Kopftuch tragen. Wir müssen auch in Deutschland anfangen, viel mutiger aufzutreten.
In der Türkei darf der orthodoxe Islam viel stärker kritisiert werden. Hier haben wir die Extreme: Pegida-Anhänger auf der einen und die Multikulti-Folkloristen, die an jedwede Bereicherung durch Vielfalt glauben, auf der anderen Seite.
Gefällt Ihnen das Bild, das Regisseur Nils Willbrandt vor diesem Hintergrund von Ihrer Familie zeichnet?
Ja. Viele Bekannte haben mich gefragt, wie ich das Material einem Deutschen an die Hand geben konnte. Warum nicht? Ein Fischkopp hat einen Film über eine türkische Familie gemacht – und er hat es gut gemacht! Ganz ohne Klischees von Opfern und Unterdrückten. Und wenn, dann aus einer ironischen Perspektive.
Eine Frage drängt sich noch auf: Mögen Sie Leberkäse?
Nein, ehrlich gesagt stehe ich nicht auf Leberkäse, ich mag nicht so gerne gekochte Wurst. Aber meine Tante Semra hat Leberkäse geliebt. Um das zu rechtfertigen hat sie sich einer einfachen Erklärung bedient: Leberkäse bestehe nur aus zwei Dingen: Leber und Käse – von Schweinefleisch keine Spur. Ich bin Anhänger der luftgetrockneten Wurst-Varianten.
Leberkäseland: 5. Oktober,
20.15 Uhr, ARD