Männer halten Händchen, Familienväter spülen ab, Frauen sind nicht mehr nur Heimchen am Herd – allmählich stellt sich die Werbung auf zeitgemäße Rollenbilder ein. Mit seinem jüngsten Internetspot „Der Fan“ über ein schwules Paar hat die Deutsche Bahn einen Internet-Hit gelandet. In rund drei Wochen wurde das Video auf Youtube mehr als 2,6 Millionen Mal angeklickt. Ein Zeichen, dass sich Klischees auflösen?
Ganz so euphorisch ist Stevie Schmiedel nicht. „Es fehlt der Kuss am Ende“, sagt die Geschäftsführerin der feministischen Organisation Pinkstinks. Und der Spot werde nur im Internet gezeigt – gezielt für eine junge Zielgruppe. Dennoch bescheinigt Schmiedel der Bahn den Mut, eingefahrene Schienen verlassen zu wollen.
„In Deutschland gibt es nämlich noch viel Stammtisch“, sagt Schmiedel, die sich mit ihrer Organisation Pinkstinks gegen Sexismus in Werbung und Medien engagiert. Dabei kämpft die Deutschbritin nicht für Prüderie und nennt die Kampagne einer Hamburger Brauerei als positives Beispiel. Da steht dann etwa auf einem Plakat ein tiefes Dekolleté und der Spruch: „Keine Haare auf der Brust, aber Astra trinken!“
Die neuen Strategien der Vermarkter, sagt Schmiedel, erreichten aber nur einen kleinen Teil der Gesellschaft. In anderen Ländern sei man da wesentlich weiter.
Tatsächlich hat die internationale Werbeindustrie die Zeichen der Zeit erkannt. Seit 2015 vergibt das Werbefestival in Cannes neben den traditionellen Preisen auch die Gläsernen Löwen. Ausgezeichnet werden dabei auch Spots, die Genderstereotypen hinterfragen. Zu den Einsendungen gehört der berührende Film eines US-Herstellers von Slipeinlagen. Was bedeutet es, sich „wie ein Mädchen“ zu verhalten, fragt der Always-Film? Mädchen und Jungen geben dazu Antworten – und die fallen zum Teil überraschend aus.
Auch Gisele Bündchen engagiert sich in der Geschlechterfrage. Für einen Sportbekleidungshersteller übt sich die Brasilianerin vor der Kamera als schweißgebadete Kickboxerin. Auf eine Wand werden Vorurteile über das Supermodel projiziert. „Ich kann schaffen, was ich will“ lautet Bündchens trotzige Antwort. „Um Dinge zu verändern, muss man die Kultur verändern. Und Werbung und Kultur sind zusammen mit dem Kino vielleicht die stärksten Instrumente dafür“, sagte Philip Thomas, Festivalchef in Cannes, dem US-Fachmagazin „Adweek“.
Die „dumme“ Hausfrau hält sich dennoch als Werbeklischee
Ob die „Geiz ist Geil“-Kampagne, die Frage „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ oder der Spruch „Nicht immer, aber immer öfter“ aus der Werbung für alkoholfreies Bier – bei Investitionen von 25 Milliarden Euro im Jahr dreht die Werbebranche tatsächlich am Rad des öffentlichen Gesprächs mit.
Doch kann Werbung auch Verhalten bestimmen, wie Cannes-Chef Thomas behauptet – oder greift sie lediglich diffuse Gefühle zum Zweck der Umsatzoptimierung auf? „Werbung ist ein Spiegel der Zeit“, sagt Susanne Stark, Expertin für Marketing und Geschlechterfragen an der Hochschule Bochum. Plumpe Stereotypen würden weniger, aber einige hielten sich beharrlich, etwa die dumme Hausfrau, die sich von einem männlichen Experten belehren lasse, sagt Stark. Oder die Frau als Verführerin: Sie komme in immerhin noch etwa zehn Prozent der Anzeigen und Spots vor.