Vergessen Sie die Wollnys! Wenn sie eine richtig herzige TV-Großfamilie lieben, sehen Sie sich die „Waltons“ an. Niemand bediente die Sehnsucht nach der heilen Familie so wie sie. Vor 40 Jahren startete ihr Siegeszug. Wer erinnert sich noch an den Satz: „Gute Nacht, John Boy“?
Essen.
Großfamilien im Fernsehen heißen ja heute gerne mal „Die Wollnys“. Und sind meist bei RTL2 zu sehen. Früher liefen sie im ZDF. Aber da nannten sie sich auch noch „Die Waltons“. An diesem Wochenende wollen sie feiern. Im Wilshire Theatre von Los Angeles. Weil im September vor 40 Jahren die erste Folge lief. Papa John, der eigentlich Ralph Waite heiß und Mama Olivia, die im echten Leben Michael Learned gerufen wird. Die Kinder kommen auch. Nur John Boy wird wohl fehlen. Richard Thomas hat andere Verpflichtungen. Leider. Dafür wollen Fans vorbeischauen. Viele Fans. Denn auch drei Jahrzehnte nach Ende der Serie erfreut sich die Sippe aus den Blue Ridge Mountains immer noch großer Beliebtheit.
Ein wenig hat das wohl mit verklärten Erinnerungen zu tun, in denen früher alles besser war. Auch das Fernsehen. Wer nicht mit den Waltons groß geworden ist, der kann wahrscheinlich schwer verstehen, warum die Betreiber eines Sägewerks von September 1972 an fast zehn Jahre lang Millionen Zuschauer in aller Welt vor die Bildschirme lockte.
Elf Leute in einem Mehrgenerationenhaus in der amerikanischen Provinz in den 1930er und 1940er-Jahren. Eine gottesfürchtige Großfamilie, die selbst nichts hat, aber davon gerne etwas abgibt. Unerträgliche Gutmenschen, die trotz bitterer Not fast immer glücklich lächeln. In einer Welt, in der die Zeit still zu stehen scheint, während sich rund um den Globus die Ereignisse überschlagen.
Die Waltons oder die Sehnsucht nach einer heilen Familien-Welt
Damals kommt das an. Und John Boy-Darsteller Thomas glaubt auch zu wissen, warum. „Familie bleibt Familie“, hat er neulich einmal festgestellt. Will sagen: viele Menschen konnten sich in den simpel gestrickten Geschichten wiederfinden. Und mancher Zuschauer hatte wohl schon damals Sehnsucht nach einem Leben, in dem man zusammensteht und gemeinsam auch durch schlechte Zeiten geht.
Während in der Realität gerade die eigene Armee aus Vietnam gejagt wird und Präsident Nixon lügt, dass ich die Balken biegen. Oder wo – wie in Deutschland – das Öl knapp wird und die Angst vor terroristischen Anschlägen wächst.
„Es war eine ganz andere Zeit“
Die Waltons-Darsteller machen diese Sehnsüchte berühmt. Aber auf angenehme Weise, „Es war eine ganz andere Zeit”, erinnert sich Kami Kotler, die die Elisabeth spielte. Keine Paparazzi, kein Klatsch im Internet. „Wenn Fans dich erkannten, wollten sie dich einfach nur umarmen.“
40 Jahre später gibt es kaum noch Umarmungen. Weil kaum noch jemand die Stars von damals erkennt. Denn keiner von ihnen kann später an den Erfolg als Landei anknüpfen, auch wenn die meisten der Branche treu bleiben. Mehr als Nebenrollen im Film oder Gastauftritte in TV-Serien gibt es nicht. Und für Schlagzeilen sorgt der Waltons Nachwuchs bald nur noch, wenn Mary Ellen-Darstellerin Judy Norton für den Playboy posiert. Oder John-Boy Thomas selbst zum siebten Mal Vater wurde.
George Bush waren sie lieber als die Simpsons
Die Ideale der Serie aber bleiben – zumindest in den USA – unvergessen. So wünschte sich der damalige US-Präsident George Bush 1992 „mehr Familien wie die Waltons und weniger wie die Simpsons“. Worauf er von Bart Simpson wenige Wochen später in einer neuen Episode die passende Antwort bekam. „Wir sind doch wie die Waltons“, erklärte der Cartoon-Chaot in Anspielung auf Bushs Wirtschaftspolitik. „Wie sie beten wir für das Ende der Depression.“
In Deutschland dagegen sind die Geschichten aus Amerikas ländlichem Virginia vor allem wegen ihres immer gleichen Endes in Erinnerung geblieben. Zusammengerechnet nämlich haben sich die Waltons in allen Episoden rund zwei Stunden lang gegenseitig nur eines gewünscht: eine „gute Nacht“.