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Die Schwere des normalen Lebens

Die Schwere des normalen Lebens

Paris. 

Am Ende wird alles gut. Vielleicht. So genau lässt sich das natürlich nicht sagen, denn vor dem möglichen Happy End blendet die Kamera ab. Aber wenigstens sitzen Mathilde und Thibault zu diesem Zeitpunkt in der gleichen Pariser Metro, einander gegenüber, mit Augenkontakt. Und vor allem sitzen sie da in einem ähnlich erschöpften Gemütszustand: Sie, die als Marketingleiterin in ihrer Firma unter extremem Mobbingdruck steht. Und er, der den Schmerz über die Trennung von seiner Freundin vergeblich mit Mehrarbeit als Arzt zu verdrängen versucht. Unglücklich sind am Ende dieses 29. September beide, jeder auf seine Art.

Zwei Menschen, die sich annähern, aber nie berühren können

In den 100 Minuten davor hatten sich ihre Wege immer wieder einmal gekreuzt, ohne dass sie die Chance bekommen hätten, einander zu bemerken. Fast schien es so, als wären sie nicht zwei etwa gleichaltrige, geschäftige Bewohner derselben Stadt, sondern zwei Satelliten auf paralleler Umlaufbahn, die auf ewig um das gleiche Zentrum kreisen: Was braucht der durchschnittlich erfolgreiche Alltagsmensch von heute, um am Abend nicht doch noch vor eine fahrende U-Bahn zu springen?

Eine schöne Elegie ist das. Eine cineastische Klage, die ganz ohne Anklage auskommt und stellenweise den Drive eines Psychothrillers entwickelt. Nicht kalt, wie es der Titel „Die Tage unter Null“ vermuten lässt, aber mit sehr klaren, konsequenten Bildern seziert Regisseur Philippe Harel („Ausweitung der Kampfzone“, 1999) das moderne Leben einer hauptstädtischen Mittelschicht. Mathilde und Thibault sind dabei nur zwei von vielen Parisern: Zwar haben sie eine schöne Wohnung und keine Geldsorgen, können mehr oder weniger eigenständig ihre Arbeit tun und sich auf sichere Arrangements verlassen. Aber das macht sie nur scheinbar glücklich, eher sprachlos: Echte zwischenmenschliche Kommunikation wird durch Technik oder durch formalisierte Höflichkeit bis zur Schmerzgrenze ersetzt – bis der Gefühlsstau, der kein Ventil in der notwendigen Auseinandersetzung findet und nur aus dem Off zu hören ist, implodiert.

Marie-Sophie Ferdane spielt die Verzweiflung in allen Facetten

Dass diese hauseigene Arte-Produktion von 2014 beim französischen Fernsehfilmfestival in Luchon mit dem Pyrénées d’Or ausgezeichnet wurde, lag sicher an Marie-Sophie Ferdane, die als Mathilde alle Spielarten an Gefühlen – zwischen leiser Beklommenheit und aufsteigender Panik – auf ihrem bloßen Gesicht so schön lesbar macht. Und ihr Partner Mehdi Nebbou als feinfühliger, verwundbarer Thibault besticht auch durch seinen charmanten Akzent – der Franzose mit deutscher Mutter spricht die deutsche Synchronisation selbst. Der Film „Die Tage unter Null“ ist übrigens eine filmische Adaptation des Romans von Delphine de Vigan. Er trägt den schönen und passenden Titel „Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin“.

Fazit: Ein gefühlsdichtes Drama mit starkem Identifikationsgrad zu den Hauptdarstellern.

Arte, 20.15 Uhr