Veröffentlicht inPanorama

Die 812 Kleider des Manneken Pis

Die 812 Kleider des Manneken Pis

0020824779-0051818171.JPG

Brüssel. Wenn er nicht gerade nackt ist, ist der kleine Urinator der am besten angezogene Belgier: Die Brüsseler Kult- und Brunnenfigur wird mindestens 50 Mal im Jahr verkleidet.

Kameras sind auf den bronzenen Knirps gerichtet. Janine Gettemans arbeitet flink, beachtet das Blitzlichtgewitter gar nicht, während sie an den Star Hand anlegt: Manneken Pis ist der berühmteste Bengel Brüssels. Unbekümmert schaut er über den kleinen Platz, an dem sich die mittelalterliche Rue de l’Etuve und die Rue du Chêne kreuzen, während er Wasser in einen Brunnen pinkelt. Die Brüsseler lieben ihn, und kein Tourist verlässt die Stadt ohne ein Foto von ihm. Er ist eine Kultfigur – und wahrscheinlich ist er auch der am besten gekleidete Kerl der Stadt.

Meist zeigt sich Manneken Pis wie der Künstler ihn schuf: im bronzenen Adamskostüm. Doch an diesem Tag war er als Katalane verkleidet. Janine Gettemans ist die offizielle Ankleiderin; sie nimmt ihm einen schwarzen Hut ab, öffnet Druckknöpfe an der schwarzen Hose, legt die Miniaturkleidung in einen Beutel und trägt ihn zum Stadtmuseum an der Grand Place. Dort ist die Kleiderkammer des Knirps’. Kuratorin Anne Deknop nimmt das Katalanen-Gewand entgegen. Die Manneken Pis-Expertin sorgt dafür, dass die Kostüme erhalten bleiben und in die ständige Ausstellung kommen.

Von französischen Soldaten entführt

Viele Frauen würden den nur 60 Zentimeter großen Kerl um seine riesige Auswahl an Kleidern beneiden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden ihm 812 Kostüme geschenkt, allein im vergangenen Jahr bekam er 20 neue. Warum die Brüsseler ihre Brunnen-Figur verkleiden, weiß niemand genau. Seit 1619 steht sie da und lässt Wasser. Nachdem Ludwig XV. 1695 mit seiner Armee Brüssel eingenommen hatte, entführten französische Soldaten den Knirps, mussten ihn aber nach heftigen Bürger-Protesten wieder zurückgeben. „Als Wiedergutmachung schenkte ihm der König ein Kostüm und ließ seine Truppen vor ihm salutieren“, erzählt Anne Deknop.

Nicht einmal ein Kölner Karnevalist schlüpft in seinem Leben in so viele Rollen wie Manneken Pis. Mindestens 50 Mal im Jahr wird er verkleidet. Am 8. Januar, dem Geburtstag von Elvis Presley, trägt er einen weißen, strassbesetzten Overall. Am 27. April, dem Jahrestag der Abschaffung der Apartheid in Südafrika, wird er in ein Nelson Mandela-Kostüm gesteckt, ein langes grün-gold gemustertes Hemd und eine graue, gelockte Perücke. Das Katalanen-Gewand trug er zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September.

„Er kann Wein, Bier und Limonade pinkeln“

Nur offizielle Gäste der Stadt, Prominente, Vereine oder sonstige Organisationen dürfen ihn beschenken. Er besitzt Kleider aus aller Welt, seidene Gewänder aus China, lederne Kosaken-Trachten aus Russland. Acht seiner Verkleidungen stammen aus Deutschland, zwei davon schenkten die wichtigsten Kölner Karnevalsgesellschaften: hohe Stiefel, langer Frack und Federhut, einmal in rot-weiß, einmal in gelb-schwarz.

Da Manneken Pis den Brüsselern heilig ist, entscheidet ein Komitee darüber, welche Kostüme er wann tragen darf. Darin sitzen Vertreter der Stadtverwaltung und dem Verein „Freunde von Manneken Pis“. Wenn ein Kostüm genehmigt wird, erhalten die Schenker die Maße des Männchens per Post und machen sich ans Nähen. Ist das neue Kostüm fertig, wird gefeiert – und Manneken Pis liefert das Bier. Seine Wasserleitungen sind ein geschlossenes System, ein Fass lässt sich problemlos daran anschließen. „Er kann Wein, Bier und Limonade pinkeln“, sagt Anne Deknop. Nur einmal pinkelte Manneken Pis nicht – am 14. September 2007, dem europäischen Prostata-Tag.