Atheistenpreis für „Bad Religion“-Sänger Greg Graffin
Promovierter Evolutionsbiologe ist er, aber auch eine Punkrock-Ikone. Jetzt erhielt „Bad Religion“-Sänger Greg Graffin in Köln den Atheistenpreis.
Köln.
Eine Punkrock-Ikone stellt man sich, nun ja, unfrisierter vor. Ordentliche schlohweiße Haare (mit 50 Jahren), ein unscheinbares Hemd und Wanderturnschuhe – äußerlich entspricht der Amerikaner Greg Graffin eher dem Klischee seiner anderen Profession: Der „Bad Religion“-Sänger ist auch promovierter Evolutionsbiologe. In Köln verlieh ihm am Samstag der „Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten“ seinen Preis „Sapio“ – weil Graffin es sich zur Mission gemacht hat, für Selbstbestimmung und gegen Denkverbote einzutreten.
Punk für eine bessere Gesellschaft
In seinem neuen Buch „Population Wars“ (etwa „Kriege der Völker“) zum Beispiel, das im September erscheint, will Graffin zeigen, dass es nicht um Sieg oder Ausrottung geht, wenn Bakterien oder Tiere sich bekämpfen, dass das Bild vom Krieg als Treiber der Evolution falsch ist.
„Wenn eine Population sich erst mal etabliert hat, ist sie nur sehr schwer auszulöschen. Viel öfter enden Konflikte mit Assimilation.“ Und wären Kriege, wie Menschen sie führen, nicht vermeidbar, wenn wir einen neuen Blick darauf gewännen?
Huch, da will jemand eine bessere Gesellschaft schaffen! Was hat das mit Punk zu tun, mit „No Future“ und „Verschwende deine Jugend“?
„Keine Zukunft“, aber Spaß dabei – dieses Lebensgefühl schwappte ab Mitte der 70er Jahre aus England herüber. „Bad Religion“ aus Kalifornien dagegen stehen in der Evolution der Rockmusik für die Geburt einer neuen Spielart: Gesellschaftskritik, gegründet in amerikanischem Optimismus. Eines ihrer ersten Lieder aus den frühen 80ern heißt „You’re the government!“ – „Du bist die Regierung“.
„Die Gemeinsamkeit in Punk und Wissenschaft ist: Skepsis!“
Spätestens in den 90ern wurden die verantwortungsbewussten Anarchisten auch in Deutschland zu einer maßgebenden Band der Skate- und Surf-Szene, prägten Gruppen wie The Offspring, Green Day und die deutschen Beatsteaks. Ihr aller Sprungbrett hieß „Epitaph“, das heute weltgrößte Plattenlabel für Punkrock, gegründet vom „Bad Religion“-Gitarristen.
„Die Gemeinsamkeit in Punk und Wissenschaft ist: Skepsis!“, sagt Greg Graffin. Mit 15 versammelte das Scheidungskind mit Schulfreunden die Band in der Garage seiner Eltern in der Nähe von Los Angeles, und etwa zur gleichen Zeit hat er begonnen, sich Fragen zu stellen, für die vor allem der Biologieunterricht Ansätze von Antworten bereithielt.
Gott und Religion, das wurde ihm klar, haben keinen Platz in seinem Weltbild. Er bezeichnet sich aber ungern als Atheisten und lieber als Naturalist – er glaubt, dass die natürlich erfahrbare Welt alles ist, was es gibt. So weit, dass Graffin das Konzept des freien Willens ablehnt. „Der Mensch hat Freiheitsgrade in den Entscheidungen“, das ja, aber letztlich reagiere unser Gehirn auf Stimuli.
Aber ist dann das ganze Leben für ihn eine Reaktion auf Physik und Chemie? „Nein, natürlich nicht. Die Liebe zum Beispiel – müssen wir wirklich alle physikalischen Stimuli verstehen, die da eine Rolle spielen? Es ist okay, ein Mysterium zu haben. Ich empfinde auch die Berge als mystisch und abenteuerlich, wenn ich campen gehe – obwohl ich so viel über Geologie, Meteorologie und Bäume weiß. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem die Kunst und die Musik in mein Leben kommen.“
Natürlich hat der Mann seine wilde Zeit gehabt, auch wenn er nie Alkohol getrunken hat, „aber ich will ehrlich sein, seit 20 Jahren ist es auf Tour nicht mehr so.“ Er trifft lieber Freunde, mit Campino und den Toten Hosen steht er zum Beispiel am 5. Juni bei Rock am Ring auf der Bühne.
Der Trost der Fossilien
Und sucht zwischen den Konzerten – oft mit seiner zweiten Frau Allison, sie sitzt in Köln mit am Tisch – die Natur und Fossilien. Die haben etwas Tröstliches, findet Graffin, sie zeigen, dass das Leben weitergeht nach jeder Katastrophe. Und wenn der Rockstar mit seinen zugehörigen Theorien einen Hörsaal betritt, ist das für ihn zwar fast wie auf die Bühne zu kommen. „Aber die meisten Studenten interessieren sich gar nicht mehr für Musik. Sie wollen vor allem ihren Abschluss. Nun, es macht meine Arbeit einfacher.“