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Zwei Jahre Haft für 1:53 Minuten

Pussy-Riot-Musikerinnen zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt

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Foto: rtr, Maxim Schemetow
Der Prozess gegen die drei jungen Frauen der Punk-Band Pussy Riot ist zu Ende. Zwei Jahre Lagerhaft für 1:53 Minuten Kirchen- und Staatskritik, das hat in Russland keinen überrascht. Aber vielleicht kommt ja doch noch alles ganz anders.

Moskau. 

Die drei Mädchen auf der Anklagebank wirkten blass, lächelten aber immer wieder. Die hübsche Nadeschda Tolokonnikowa, die während des gesamten Prozesses im Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit gestanden hatte, trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: „No pasaran!“ Nadeschda hatte Lidschatten aufgelegt, Maria Aljochina zur Feier des Tages ihre kurzen Fingernägel metallic-blau lackiert. Auch auf das Strafmaß reagierten die jungen Frauen mit gefasstem Lächeln.

Das Gericht des Moskauer Stadtbezirks Chamowniki hat die drei Mitglieder der feministischen Punk-Band „Pussy Riot“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Richterin Marina Syrowa befand Aljochina, 24, Tolokonnikowa, 22, und Jekaterina Samuzewitsch, 30, des Rowdytums für schuldig, motiviert aus religiösem Hass. „Sie haben in grober Form die öffentliche Ordnung gestört“, erklärte die Richterin. „Und die Gefühle orthodoxer Christen tief verletzt.“

Rücksicht auf die Kinder?

Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre beantragt, die Richterin Syrowa ließ aber als mildernde Umstände gelten, dass zwei der Angeklagten kleine Kinder haben.

Die drei jungen Frauen hatten im Februar gemeinsam mit anderen Punk-Musikerinnen in der Moskauer Erlöserkirche einen wilden Tanz veranstaltet, um gegen die Unterstützung des orthodoxen Patriarchen Kyrill für Wladimir Putin im Präsidentschaftswahlkampf zu protestieren. Später stellten sie ein Video der Aktion ins Internet, das mit einem „Punk-Gebet“ an die Heilige Muttergottes unterlegt wurde: Sie möge Putin verjagen.

Verteidiger Polosow kündigt Berufung an

Verteidiger Nikolai Polosow bezeichnete das Urteil gegenüber Journalisten als gesetzeswidrig. Polosow und seine Kollegen hatten während des Prozesses immer wieder heftig protestiert, weil Richterin Marina Syrowa fast alle ihre Anträge und Zeugen sowie einen Großteil ihrer Fragen nicht zugelassen hatte. Der Anwalt erklärte, die Verteidigung werde in Berufung gehen. „Wenn unsere Berufungsbeschwerden abgelehnt werden, wenden wir uns an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.“

Das Urteil war in Moskau mit großer Spannung erwartet worden. Schon Stunden vor dem Urteilsspruch hatten sich vor dem Gericht mehrere hundert Menschen versammelt. Sympathisanten der Angeklagten skandierten erst „Freiheit für Pussy Riot“, nach dem Schuldspruch dann: „Schande! Schande!“ Orthodoxe Aktivisten versuchten sie mit altkirchenslawischen Kirchenliedern zu übertönen, unterstützt von den Sprechchören junger sportlicher Männer, offenbar Fußballfans: „Dieser Weiberaufstand kommt nicht durch!“

Sympathisanten wurden verhaftet, auch Garri Kasparow

Die massenhaft aufgebotene Einsatzpolizei verhaftete aber vor allem Anhänger von Pussy Riot, darunter Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und den Koordinator der „Linken Front“ Sergei Udalzow. Der liberale Oppositionspolitiker Alexei Nawalny erklärte Journalisten, im Gericht werde einzig darüber entschieden, wie schwer Herr Putin die Beleidigung einschätze, die Pussy Riot ihm zugefügt hätte. Tatsächlich glauben viele Moskauer Beobachter, das Urteil sei wegweisend dafür, wie hart Wladimir Putins innenpolitischer Kurs in Zukunft sein werde.

Die Verurteilten selbst hatten zuvor geäußert, sie erwarteten keine Milde. Sie habe keine Angst vor dem Gefängnis, sagte Jekaterina Samuzewitsch der Zeitung Nowaja Gaseta. „Unsere Haft ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Freiheit im ganzen Land schwindet“, schrieb Tolokonnikowa in einem offenen Brief, der gestern veröffentlicht wurde. „Es ist diese Gefahr, dass die freiheitlichen und emanzipatorischen Kräfte in Russland vernichtet werden, die mich in Wut versetzt.“

Kommen sie doch noch auf freien Fuß?

Die meisten Moskauer Politologen und Menschenrechtler hatten mit der Gefängnisstrafe gerechnet. „Wenn in unserem System jemand in U-Haft kommt, dann wird er schon deshalb verurteilt, weil die Justizbehörden ihm bei einem Freispruch eine Entschädigung zahlen müssen“, erklärte die ehemalige Sowjetdissidentin Ludmilla Alexejewa dem Internetsender tv.doschd. Ein Beamter des russischen Innenministeriums sagte unserer Zeitung vertraulich, in den Justizbehörden plane man, die Mädchen erst ins Gefängnis zu stecken, sie dann aber durch eine Berufungsinstanz auf freien Fuß zu setzen. „Damit Putins ramponiertes Image vor allem im Ausland nicht weiter leidet.“ Der Präsident hatte im ersten Halbjahr seiner neuen Amtszeit zahlreiche Gesetze abgesegnet, die die Demonstrations- und Meinungsfreiheit einschränken und die Arbeit vor allem oppositioneller Nichtregierungsorganisationen erschweren.

Der Aktionskünstler Pjotr Wersilom, Ehemann der verurteilten Tolikonnikowa, verkündete nach dem Verlassen des Gerichtes vor Journalisten: „Was hier geschehen ist, kann man nur mit den Worten aus dem letzten Lied von Pussy Riot kommentieren: ,Putin entzündet die Feuer der Revolution.’ Die Revolution wird meine Tochter, meine Frau und alle anderen retten.“ National gesonnene Politiker wie der Duma-Abgeordnete Alexej Mitrofanow kommentierten den Schuldspruch dagegen mit Genugtuung: „Der Westen wird nun neue Solschenizyns aus den Pussy Riots machen. Sie kommen nach der Winterolympiade 2014 raus und gehen auf Welttournee.“

Die Bevölkerung ist gespalten

Aber auch weniger politisierte Russen reagierten sehr unterschiedlich auf das Urteil. „Sie haben eigentlich eine noch härtere Strafe verdient“, sagt der Twerer Klempner Igor Golembowski unserer Zeitung. „Damit niemand auf die Idee kommt, das Gleiche noch einmal zu machen.“ Und natürlich seien die Mädchen vom Westen angestiftet und bezahlt worden. Dagegen erklärte die Köchin Ljena Milowa aus der Moskauer Vorstadt Odinzowo, eine gläubige und praktizierende Orthodoxe, Prozess und Urteil für überflüssig: „Gott weiß besser als wir, wie er mit diesen Mädchen verfahren soll.“