Unter dem Druck der Flüchtlingswelle stellen immer mehr Bundesländer nach Schnellkursen Hilfspolizisten ein. Experten warnen vor tödlichen Folgen.
Essen.
Sie tragen blaue Anoraks, das Staatswappen auf der Schulter, das Funksprechgerät in der Hand und den Pfefferspray in der Tasche. So patrouillieren in Bayern die Leute der 1000 Stellen starken staatlichen „Sicherheitswacht“. In Berlin treten die Wachkräfte des Senats robuster auf: Mit Handfeuerwaffe und und Maschinenpistole. Sie beschützen Botschaften. In Hessen wird mit ähnlichen Einheiten der Frankfurter Flughafen gesichert und die verbliebenen Basen der US-Armee.
Selten war die Polizei so gefordert wie heute. Doch in vielen Revieren fehlen die nötigen Kräfte. Wird es in Deutschland bald – wie in Bayern, Berlin und Hessen – flächendeckend „Hilfssheriffs“ geben, um die Sicherheitslücken zu stopfen? Polizeikreise sind besorgt und sehen bei den Landesregierungen eine wachsende Bereitschaft, eine sogenannte Hilfspolizei einzurichten oder aufzustocken. Nordrhein-Westfalen lehnt Pläne dieser Art strikt ab. Auch Rheinland-Pfalz und Brandenburg sagen Nein zur „HiPo“.
Hilfspolizei gibt es bereits in neun Bundesländern
„Wo Polizei drauf steht, muss auch Polizei drin sein“, sagt Arnold Plickert, Bundesvize und NRW-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Keine intensive Polizeiausbildung, rudimentäre Rechtskenntnisse und dann die scharfe Waffe in die Hand – das geht nicht“. Selbst die Botschaftsbewachung erfordere in Zeiten des Terrorismus eine gute Qualifikation. „Irgendwann wird der erste 14-Jährige erschossen im Vorgarten liegen“, spitzt der Vorsitzende des Berufsverbandes Bund der Kriminalbeamten (BDK), Andre Schulz, seine Sorge zu.
Insgesamt neun der sechzehn Bundesländer verfügen derzeit über eine „Billigpolizei“, sie bauen sie gerade aus oder auf oder planen sie. Neben Bayern, Hessen und Berlin sind das Baden-Württemberg, Hamburg, Sachsen und neuerdings Sachsen-Anhalt. Das Saarland plant erste Einstellungen zum 1. März. Niedersachsen will sich anschließen, mit der noch aufzustellenden Truppe aber allenfalls Schwertransporte begleiten.
Ausbildung dauert zwischen drei und 16 Wochen
Eine Liste der GdP, die der Redaktion vorliegt, vergleicht erstmals Einsatzstärke und rechtliche Grundlage, Kompetenz, Bewaffnung und Bezahlung in den einzelnen Bundesländern. Danach durchlaufen die Bewerber eine Ausbildung irgendwo zwischen drei und 16 Wochen. Beispiel Hessen: Dort gehören 47 Tage Theorie, 98 Stunden Schießausbildung, zwei Tage Erste-Hilfe-Kurs dazu. Dann dürfen sie, je nach Land, in polizei-ähnlichen Uniformen schlüpfen, mit oder ohne Streifenwagen und teils ausschließlich mit Pfefferspray zur Selbstverteidigung, teils aber auch scharfen Waffen unterwegs sein. Sie gehen auf Patrouille oder bewachen wichtige Bauten: Gefährdete Flüchtlingsheime, diplomatische Vertretungen, jüdische Synagogen. 700 Objekte sind es alleine in Berlin.
Die Voraussetzungen in den einzelnen Bundesländern sind völlig unterschiedlich. 550 Bedienstete gibt es in Hessen, die Truppe wird wegen der Flüchtlingslage gerade um 100 aufgestockt. 1300 Bewerber stehen in Sachsen in den Startlöchern, Sachsen-Anhalt will dagegen allenfalls mit 20 Stellen loslegen. Auch Bezahlungen klaffen auseinander. Während Berlin 1500 Euro netto im Monat zahlt, gewährt Bayern den Mindestlohn von 8,50 Euro auf der Basis von 450 Euro-Jobs.
Polizei-Gewerkschaft fordert Entlastung von einzelnen Aufgaben
Für den Chef der NRW-GdP, Arnold Plickert, ist schon dieser Flickenteppich der Regelungen Grund genug, Hilfspolizisten abzulehnen. „Es ist gut, dass der Innenminister in Nordrhein-Westfalen Nein sagt“, meint Plickert. Zusätzliche Kräfte hält er trotzdem für nötig. „Es geht um Angestellte, die die Polizei bei Tätigkeiten entlasten. Dann ist die für die eigentlichen Polizeiaufgaben frei“. Plickert nennt Einsatz-Beispiele: Bei Geschwindigkeitsmessungen könnten diese Kräfte den Aufbau der Radaranlagen vornehmen, sie könnten die Spurensicherungen nach Wohnungseinbrüchen übernehmen oder im Straßenverkehr die Abstände messen.
So ähnlich denkt auch Ernst G. Walter. Er vertritt in der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) die Bundespolizisten. Er fordert zum Beispiel Tarifkräfte für die Schreibarbeiten. Walter: „Wir könnten sehr viel Polizei einsparen, wenn wir alle polizeifremden und administrativen Aufgaben Unterstützungskräften zuordnen“.