Schäuble wird 70 Jahre alt – Das Gedächtnis der Republik
Keiner ist so lange aktiv im Politikbetrieb wie Wolfgang Schäuble. Seine Karriere bewegt sich zwischen Erfolg und Drama. Der Finanzminister wird am Dienstag 70 Jahre alt. Ein langjähriger Wegbegleiter und Widersacher hat seine Teilnahme bei der Feier schon abgesagt.
Berlin.
Es hätte ein großes Versöhnungstreffen werden sollen zum Geburtstag von Wolfgang Schäuble. Die Union richtet dem Finanzminister, der morgen 70 Jahre alt wird, nächste Woche eine große Feier aus. Auch Helmut Kohl war geladen. Doch der Altkanzler sagte ab, ohne Begründung. Schäuble wird es verschmerzen. Wie vieles andere: Sein Leben bietet Stoff für ein Drama, mit großen Erfolgen – und bitteren Niederlagen.
Der Verletzte
Drei Pistolenkugeln feuert ein geistig verwirrter Mann nach einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau am 12. Oktober 1990 auf den Innenminister, zwei treffen Kiefer und Wirbelsäule. Schäuble entrinnt dem Tod, ist aber vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt. „Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?“ fragt er, als er aus dem Koma erwacht.
Aber mit eiserner Disziplin nimmt der 48-Jährige wenige Monate später im Rollstuhl seine Amtsgeschäfte wieder auf. „Politik ist meine Leidenschaft“, er will sie nicht verlieren. Schäuble nennt die große Zäsur heute einen „Unfall“ und meint, eigentlich sei er nicht viel unglücklicher als zuvor. Er lässt kein Mitleid zu – und schon gar kein Selbstmitleid.
Der Dienstälteste
„Ich verkörpere sozusagen das Langzeitgedächtnis der Republik“, sagt Schäuble. „Da ich auch nichts mehr werden muss, habe ich ein größeres Maß an innerer Unabhängigkeit.“ Wer den CDU-Politiker in diesen Tagen erlebt, spürt: Er ist mit sich im Reinen. Knapp 40 Jahre sitzt der Jurist im Bundestag, so lange wie kein anderer Abgeordneter. 2013 kandidiert er wieder.
Er hat enorme Erfahrung, ist ein kluger Stratege. Schäuble kann charmant und witzig sein, aber auch hart und kalt – die Szene, wie er seinen Pressesprecher öffentlich und lustvoll vorführt, ist legendär. Er selbst sagt: „Ich spotte gern.“ Dass ihn die vielen Verletzungen bitter und schroff gemacht hätten, bestreitet er. Schäuble war Kanzleramtsminister und zweimal Innenminister – beim ersten Mal handelte er den Einigungsvertrag aus. Sein großes, leidenschaftliches Thema ist Europa. Seine Bilanz als Finanzminister ist indes durchwachsen. Die Euro-Krise managt er zusammen mit der Kanzlerin gut, aber als Kassenwart setzt er die erhoffte Spardisziplin nicht durch.
Der Kronprinz
Fast zwei Jahrzehnte arbeitet Schäuble loyal an der Seite von Helmut Kohl, schnell steigt er auf. Sie sind enge politische Vertraute, Freunde sind sie nicht. Schäuble wächst in den 90er-Jahren in die Rolle des Kronprinzen, doch Kohl verbaut ihm das Ziel. Er gibt anscheinend frühzeitig Signale für eine Amtsübergabe zwischen 1996 und 1998, ruft ihn am Ende sogar zum Wunsch-Nachfolger aus. Aber Kohl zögert den Wechsel immer wieder hinaus. Kurz vor der dann verlorenen Wahl 1998 will Schäuble Kohl zum Rückzug überreden, aber der lehnt ab. Den Kanzler zu stürzen, kommt für Schäuble nicht infrage – er ist zur Härte fähig, aber nicht brutal: „Kohl wusste, er konnte sich auf mich verlassen.“
Der Gestürzte
Der Bruch wird am 18. Januar 2000 besiegelt. Schäuble trifft Kohl in dessen Büro, es geht um die CDU-Spendenaffäre. Schäuble fordert von Kohl Konsequenzen; in der Spendenaffäre ist Schäuble wegen einer nicht ordentlich angegebenen Spende des Waffenhändlers Schreiber selbst in Bedrängnis, im Bundestag hat er die Unwahrheit gesagt. Kohl hat davon präzise Kenntnis, nutzt das wohl hinter den Kulissen, um Schäuble mit in den Abgrund zu reißen. Der Altkanzler schweigt zu seinen Spendern, gibt Schäuble die Schuld an der Parteikrise. Dessen Antwort: „Ich habe in meinem Leben schon viel zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht. Es wird keine Minute mehr geben.“ Seitdem ist ihr Verhältnis zerrüttet. „Wir haben unsere Beziehung beendet“, sagt Schäuble.
Der Merkel-Minister
Einige Stunden schon tagt das CDU-Präsidium am 3. März 2004, da weiß Schäuble, dass ihn Angela Merkel getäuscht hat. Viele in der CDU wollen ihn zum Bundespräsidenten machen. Doch Merkel hat erst laviert, nun verhindert sie ihn kühl und setzt auf Horst Köhler. Wieder zerbricht ein Lebenstraum.
Schäuble und Merkel – ohnehin ein heikles Verhältnis. Er hat sie zur Generalsekretärin gemacht, aber in der Spendenaffäre handelt Merkel auf eigene Rechnung und nimmt seinen Sturz als Parteichef in Kauf. Dann holt Merkel ihn 2005 ins Kabinett. Er dankt es ihr mit absoluter Loyalität. Sie sprechen offen miteinander, aber siezen sich noch immer. Merkel sagt: „Schäuble ist ein Glücksfall für die deutsche und europäische Politik.“