Auch wer am Wahltag zu Hause bleibt, beeinflusst das Ergebnis. Weil er seinen Stimmenanteil „verschenkt“. Davon profitiert die stärkste Partei. Eine „Enthaltung“ ist im deutschen Wahlrecht nicht vorgesehen. Wir erklären, warum Nichtwähler dennoch mitwählen.
Berlin.
2009 hatte CDU-Chefin Angela Merkel die geniale „Strategie“ für die Union im Bundestags-Wahlkampf gefunden: Bloß keine harte Konfrontation mit dem Gegner – auf dass dessen Wähler erst gar nicht an die Urne gingen. Am Ende erlebte die SPD ein Debakel – nicht zuletzt dank Merkels „asymmetrischer Demobilisierung“, wie ihre Taktik seitdem genannt wird.
Auch diesmal plätschert der Wahlkampf vor sich hin, weshalb am Ende viele Wähler am 22. September zu Hause bleiben könnten. Doch sind Bürger, die kein Votum abgeben, tatsächlich „Nichtwähler“? Keineswegs. Denn auch sie beeinflussen das Ergebnis.
Die Großen profitieren am meisten
Zunächst eine rein mathematische Rechnung: Demnach „profitieren“ alle Parteien insofern von vielen Nichtwählern, weil sie selbst mit (absolut) weniger Stimmen ihr angepeiltes (prozentuales) Wahlziel erreichen können. Denn der „Kuchen“, der bei der Wahl verteilt wird, also die Gesamtheit der Sitze im Bundestag, wird durch eine geringe Wahlbeteiligung schließlich nicht kleiner. Die Nichtwähler verschenken lediglich ihren Stimmenanteil – und sind damit dem Votum der übrigen Wähler ausgeliefert.
Angenommen die Union würde am 22. September 40 Prozent der Wählerstimmen anstreben. Für ein solches prozentuales Ergebnis benötigte sie deutlich weniger Stimmen, wenn nur 40 statt beispielsweise 50 Millionen Bürger zur Wahl gehen würden. Dieser Mechanismus gilt natürlich für alle politischen Gruppen, unabhängig vom angestrebten Ergebnis.
Eine mathematische Gesetzmäßigkeit
Aber: Anteilig profitiert die Partei mit den meisten Wählerstimmen auch am stärksten von vielen Nichtwählern. Das ist eine mathematische Gesetzmäßigkeit, die aller Voraussicht nach der Union nützen wird, die in allen Meinungsumfragen deutlich vorn liegt.
Durch ihre Wahl-Verweigerung geben also auch Nichtwähler gewissermaßen ein Votum ab, wenngleich unbewusst oder ungewollt. Streng genommen sind damit also auch sie für das Wahlergebnis ein Stück weit mitverantwortlich.
Enthaltung gibt es bei der Bundestagswahl nicht
Die Möglichkeit einer Stimmenthaltung auf dem Stimmzettel ist übrigens gesetzlich nicht vorgesehen. Sie würde auch keinen Sinn machen. Denn: Die Konsequenz müsste ja sein, dass Parlamentssitze unbesetzt blieben – nach dem prozentualen Anteil der abgegebenen Enthaltungen. „Dies jedoch würde dem Prinzip der repräsentativen Demokratie widersprechen“, heißt es dazu beim Bundeswahlleiter. Und: „Zudem würde eine solche Sitzverteilung die Handlungsfähigkeit einer jeden Volksvertretung stark gefährden oder sogar unmöglich machen.“
Wichtiger ist deshalb die Frage, aus welchem Lager besonders viele Bürger zu Hause bleiben. „Traditionell profitierten die konservativen Parteien von den Nichtwählern“, weiß Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner. Deren Wählerstamm sei tendenziell älter und werteorientierter. „Da gehört das Wählen gehen einfach dazu“, so Schöppner. Daher sei es für die Union leichter, ihre Sympathisanten zu mobilisieren.
Die SPD dagegen war vor allem bei Wahlen mit hoher Beteiligung erfolgreich. 1972 heimste sie ein Rekordergebnis von 45,8 Prozent ein, als 91,1 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen strömten. 2009 dagegen lag die Beteiligung bei gerade 70,8 Prozent ihre Kreuzchen – die SPD kassierte mit 23 Prozent eine verheerende Niederlage.
Frage der Mobilisierung
Derzeit kommen Union und FDP in Umfragen auf etwa 46 Prozent. Aus Schöppners Sicht haben sie ihr Potenzial damit ausgereizt. Das linke Lager steht bei 45 Prozent. Der Emnid-Chef glaubt nicht, dass noch viele Wähler die Seiten wechseln. Wohl aber könnten sie innerhalb der Lager wandern.
Je näher die Wahl rückt, desto stärker stellt sich die Frage, wo man sein Kreuzchen taktisch klug setzt. Kratzt die FDP weiter an der 5-Prozent-Marke, könnten CDU-Wähler den Liberalen Leihstimmen geben, um Schwarz-Gelb zu retten. Für die SPD hingegen wird es darauf ankommen, ihre Stammwähler zu mobilisieren. Sonst wäre sie doppelt gelackmeiert: weil ihr Stimmen der eigenen Leute fehlten und die Union von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitierte.