Der Vater des mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos hat ausgesagt – und dabei die Nerven des Richters arg strapaziert. Der Fachhochschulprofessor verharmloste die rechtsradikale Gesinnung seines Sohnes als „Spleen“. Er sei durch „Anstöße von außen“ verführt worden.
München.
Als erstes stellt der Zeuge eine Wasserflasche und einen Plastikbecher auf den Tisch. Dann legt er einen Apfel daneben und einen Hefter mit eng beschriebenen Seiten. Der Mann, 67 Jahre alt, pensionierter Informatikprofessor aus Jena, will an diesem Mittwoch in München seine Mission fortsetzen, die er im November mit seinem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags begann. Es geht ihm um die Rehabilitierung seines toten Sohnes Uwe Mundlos, der zehn Menschen ermordet, mehrere Bomben gelegt und Banken überfallen haben soll. Und es geht ihm um sich selbst. „Ich bin“, sagt er, „ja auch Verletzter mit meiner Familie.“
Doch damit ist Siegfried Mundlos bei Manfred Götzl falsch. Der Vorsitzende Richter gilt als einer der strengsten Juristen, den die bayerische Gerichtsbarkeit aufzubieten hat. Fast jedem im Saal hat er in den bisherigen 68 Verhandlungstagen gemaßregelt, ob nun Nebenkläger, Angeklagte, Verteidiger oder Zeugen. Seine Ausbrüche sind berüchtigt.
Mundlos-Vater gerät mit Richter aneinander
An diesem Morgen hat die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht verspätet begonnen. Die geplante Video-Vernehmung einer 91-jährigen Zeugin aus Zwickau, die nicht mehr reisefähig ist, musste Götzl aus „technischen Gründen“ auf Donnerstag verschieben. Also ruft er Mundlos in den Saal, einen Mann in dunklem Sakko, mit dunklem Haar und auffällig buschigen Augenbrauen.
Der emeritierte Fachhochschulprofessor will, nachdem Apfel und Flasche platziert sind, erst einmal seiner Aussage „etwas vorausschicken“. Die Unschuldsvermutung sei zu beachten, dekretiert er, „auch von der Staatsanwaltschaft.Besonders der Generalbundesanwalt …“ Sofort unterbricht Götzl Mundlos. Es gehe jetzt nicht um Stellungnahmen, sondern um die Beweiserhebung. Mundlos widerspricht, sagt, er werde als Verschwörungstheoretiker diskriminiert, darauf müsse er eingehen können. „Es ist nicht Sache des Zeugen, das Verfahren zu betreiben“, entgegnet der Richter barsch.
Damit ist der Ton für den Verhandlungstag gesetzt. Mundlos erzählt vom Verfassungsschutz, Götzl unterbricht. Mundlos berichtet von dem, was er irgendwo gelesen habe, Götzl ermahnt, dass es nur um die persönliche Erinnerungen des Zeugen gehe.
Vater findet entschuldigende Worte für Sohn
In all diesem Hin und Her entwirft der Vater ein Idealbild seines Sohnes. „Extrem ehrlich“ sei Uwe gewesen, „etwas naiv“ vielleicht, aber „voller sozialem Bewusstsein“, hilfsbereit und mit starkem Charakter. Dass er Anfang der 1990er Jahre „an den rechten Rand abdriftete“, habe vor allem mit der politischen Wende zu tun, „die viele hart durchgeschüttelte“, dass man „schon mal die Orientierung verlieren konnte“.
Außerdem waren da ja noch die Freunde seines Sohnes, Andre K. und vor allem der Neonazifunktionär Tino Brandt, der ab 1994 als Informant für den Verfassungsschutz arbeitete. Er, Mundlos, habe ja gehört, dass Brandt 200.000 D-Mark von dem Thüringer Nachrichtendienst bekommen habe. Ohne dieses Geld, sagt er, hätten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt oder Beate Zschäpe „gar nicht die eigenen Mittel“ besessen, um zu Neonazi-Veranstaltungen fahren können. Besonders die Beate sei ihm nie als rechts aufgefallen. Eher im Gegenteil: Er habe sogar gehofft, dass „es vielleicht ihr gelingt, den Jungen von dem Spleen abzubringen“.
Denn genau dies war der Rechtsextremismus seines Sohnes wohl für Siegfried Mundlos: ein Spleen. Der Überfall auf einen anderen jungen Mann wird bei ihm zu einer „Rangelei“. Und an der Tatsache, dass Uwe Mundlos bei einer rechtsextremen Demonstrationen verhaftet wurde, findet der Vater im Nachhinein vor allem die „echten Übergriffe der Staatsanwaltschaft“ wichtig.
Siegfried Mundlos sieht sich als Opfer
Je länger Mundlos redet, umso deutlicher wird, dass er in seiner eigenen Deutungswelt lebt. In dieser Welt wurde sein Sohn durch „Anstöße von außen“ verführt. In dieser Welt ist die 1998 entdeckte Bombenwerkstatt des Trios eine Erfindung der Behörden und sind die Briefe von Uwe Mundlos an den inhaftierten Neonazi Thomas S. „eine Art Sozialdienst.“ Und in dieser Welt lügen all anderen: der Sozialarbeiter, der seinen Sohn gut kannte, der Generalbundesanwalt, der die Anklage vorbereitete und „diese Frau Böhnhardt“, die Uwe Mundlos zu einer falschen Aussage angestiftet habe, nur um ihren eigenen Sohn zu schützen.
Dabei war es gerade die Mutter von Uwe Böhnhardt, die vor Gericht ganz ähnlich wie der Vater argumentierte. Wie er schilderte sie ihren Sohn als Opfer der Umstände und des Staates. Wie er versucht sie offenkundig, den Schmerz über den Verlust des Kindes mittels ihrer eigenen Thesen zu verwinden.
Siegfried Mundlos sieht sich als Opfer, und wahrscheinlich ist er das auch. Doch für die anderen Opfer, die Menschen, die wegen der mutmaßlichen Taten seines Sohnes ihre Angehörigen verloren, findet er an diesem Vormittag kein Wort des Bedauerns. Stattdessen beginnt er während der Vernehmung seinen Apfel zu essen, was den sichtlich fassungslosen Richter Götzl zu der Bemerkung veranlasst, dass er so etwas noch nie erlebt habe.
Mundlos beschimpft Richter als „Klugsch…“
Aber es passiert vieles zum ersten Mal in diesem Verfahren. So kommt es nach der Mittagspause zum Eklat, als Siegfried Mundlos davon erzählt, dass Uwe Böhnhardt, also der beste Freund seines Sohnes, damals in Jena als „tickende Zeitbombe“ bekannt war. Wie er denn als Vater mit dieser Information umgegangen sei, fragt der Richter nach – was der Zeuge sofort als Angriff wertet. „Sie sind ein kleiner Klugsch…“, sagt er zu Götzl, beendet das Wort aber nicht.
Der Vorsitzende Richter bleibt für seine Verhältnisse erstaunlich gefasst. „Sie sind unverschämt“, gibt er zurück, führt aber die Vernehmung fort, die immer mehr einem Dauergefecht gleicht. Mundlos bleibt jedoch beharrlich dabei: Sein Sohn sei in das alles durch Uwe Böhnhardt hinein gezogen worden. Den Rest habe der Verfassungsschutz erledigt.
Am Ende des Verhandlungstages richtet der Zeuge dann doch einige Sätze an die Opfer. „Ich kann mitempfinden, welche Schmerzen es bedeutet, dass Ihre Angehörigen heimtückisch ermordet wurden.“ Schließlich, sagt er, seien ja nicht nur zehn, sondern zwölf Menschen gestorben. Er meint Uwe Böhnhardt und seinen Sohn.
Die Vernehmung von Siegfried Mundlos wird am Donnerstag fortgesetzt.