Für die meisten türkischstämmigen Akademiker ist eine Rückkehr in die Türkei kein Thema. Die Erkenntnis kann auch in der Flüchtlingskrise helfen.
Essen.
Wer gut ausgebildet ist, Aufstiegschancen sieht und eine Lebensperspektive erkennt, dem gelingt die Integration in Deutschland und bringt sich in die Gesellschaft ein. Dies ist ein Ergebnis einer Studie des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZFTI) in Zusammenarbeit mit der türkischen Universität Bayburt, die gestern präsentiert wurde. Auch mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik erscheint dieser Befund lehrreich.
Die Wissenschaftler hatten dafür gut 1100 türkischstämmige Hochqualifizierte, die derzeit in Deutschland ein Studium absolvieren oder bereits eine akademischen Abschluss erworben haben, nach ihrer Bildungsbiografie, Karrierewegen, Ausgrenzungserfahrungen und Rückkehrwünschen befragt.
„Für die meisten ist Rückkehr kein Thema“
Hatten Studien in der Vergangenheit ergeben, dass viele gut ausgebildete Menschen mit türkischen Wurzeln nach ihrer Ausbildung wegen Diskriminierungserfahrungen oder schlechten Karriereaussichten von Deutschland enttäuscht seien und zurück in die Heimat wollten, hat sich dieser Trend nach der nun vorgelegten, empirisch fundierten Erhebung offensichtlich klar abgeschwächt.
Danach wollen 56 Prozent entweder dauerhaft oder zumindest länger als fünf Jahre in Deutschland bleiben. Zudem wollen sich 29 Prozent bei der Frage nach einer möglichen Rückkehr derzeit nicht festlegen. Studienautor Caner Aver vom ZFTI interpretiert die Zahlen so: „Für die meisten ist die Rückkehr kein Thema.“ Prof. Halil Uslucan, Leiter des Forschungszentrums, ergänzt: „Jede große Volkswirtschaft muss ein Interesse daran haben, Hochqualifizierte zu halten.“
Türkisches Bildungsbürgertum bildet sich heraus
70 Prozent der Befragten verfügen mindestens über einen Bachelor-Abschluss einer Hochschule. Aver: „Es bildet sich verstärkt ein türkischstämmiges Bildungsbürgertum heraus, das in die Mittelschicht aufrückt.“ Dieses Milieu sei aufstiegs- und bildungsorientiert. Mit Schulen, und Unis, Arbeitsbedingungen und auch dem Lebensstil in Deutschland zeigte sich die überwiegende Mehrheit der Befragten zufrieden.
Zwar finden die meisten türkischstämmigen Hochschulabsolventen binnen weniger Monate einen Job, doch ist die Arbeitslosenquote unter ihnen mit knapp neun Prozent deutlich höher als im Durchschnitt der Akademiker (2,4 Prozent). Ursachen seien vor allem eine „geringe Mobilitätsbereitschaft“ – wegen der Familie zieht man ungern weg – und fehlende Fremdsprachenkenntnissen. Wer aber beweglich sei und gut qualifiziert habe kaum Probleme, in den Arbeitsmarkt einzusteigen.