Wie geht es nach der Grundschule weiter? Das ist in vielen Familien eine Schicksalsfrage. Auch bei der NRZ-Familie Stockhorst-Bodenstein in Neukirchen-Vluyn.
Neukirchen-Vluyn.
Der Tisch ist reich gedeckt, die Gäste lassen Finn hochleben, und der strahlt mit den zehn Kerzen auf der Torte um die Wette. Kein Wunder, es ist sein Geburtstag, und da dreht sich in der NRZ-Familie Stockhorst-Bodenstein alles nur um ihn. Zehn Jahre ist Finn jetzt alt und wenn man ihn länger nicht gesehen hat, dann fällt einem auf: Groß geworden ist er. Das Kindergesicht hat sich ebenso gestreckt wie der ganze junge Mann, cool ist er irgendwie, sogar seine Stimme hat sich verändert. Da passen die Geschenke für Finn wie die berühmte Faust aufs Auge – das lang ersehnte (und bei einigen seiner Freunde bereits vorhandene) Handy und ein hipper Rucksack in schwarz und blau.
Neuer, wichtiger Abschnitt
So etwas trägt man(n) heute auf dem Rücken, wenn man noch zur Schule geht. Nur noch wenige Wochen, dann wird auch Finn sich aufmachen zu einem neuen Abschnitt seines jungen Lebens – in die Städtische Gesamtschule Neukirchen-Vluyn. Kaum ein Thema hat die Familie Stockhorst-Bodenstein in den vergangenen Wochen mehr beherrscht als diese Frage: Was ist die beste Schule für das eigene Kind.
Damit stehen sie nicht alleine. Eltern wissen – kaum ein Thema treibt eine Familie mehr um, als das des bevorstehenden Schulwechsels. Mehr als die Hälfte aller Eltern wünschen sich ihr Kind mittlerweile auf einem Gymnasium.
Aber: Seit Einführung der umstrittenen Schulzeitverkürzung von neun auf acht Gymnasialschuljahre orientieren sich mehr und mehr Eltern neu: „Finn ist noch so jung. Er soll Zeit haben, sich zu entwickeln. Auf dem Gymnasium hätten wir die Sorge gehabt, dass er in dem Lernbetrieb zu einer Nummer wird“, erklärt Finns Mutter Sabine (42). Zumal seine Lehrerin ihm mit dem Halbjahreszeugnis des vierten Schuljahres nur mit Einschränkungen eine Empfehlung für das Gymnasium gegeben hat.
Mutter Sabine: „Das Zeugnis war in Ordnung. Aber die Lehrerin sieht Finn ebenso wie ich – er ist ein Praktiker, ein Bastler und Tüftler, malt gerne, macht gerne Sport und Mathe. Und er ist manchmal noch richtig Kind. Er hat ganz viel Fantasie. Er ist sehr sozial eingestellt, übernimmt gerne Aufgaben wie Tafeldienst oder Obstdienst. Aber sture Paukerei, das liegt ihm eher nicht. Warum ihm das antun?“
Aber auch so haben es sich die Stockhorst-Bodensteins bei Finn nicht leicht gemacht. Da Halbbruder Niklas – er besuchte die Realschule und jetzt ein Kolleg – bereits 18 ist, lagen einige Jahre dazwischen, bevor man sich erneut den Kopf über eine Schulform zerbrechen musste.
Und noch etwas kam dazu – Finn ist ebenso wie seine Schwester Lilly (8) in die Montessori-Klasse der Friedensreich-Hundertwasser-Schule gegangen, und eigentlich wollte vor allem Sabine Stockhorst-Bodenstein ihrem Sohn diese offene und selbstbestimmte Form des Lernens auch in der weiterführenden Schule ermöglichen.
Doch die nächste weiterführende Montessori-Schule ist die Bischöfliche Maria-Montessori-Schule in Krefeld. Was für Finn bedeutet hätte: „Er hätte mit dem Schulbus fahren müssen.“ In Krefeld wohnende Verwandte wären eingeschaltet worden, Vater Frank (43) und Hebamme Sabine hätten noch mehr ihre Arbeitsschichten aufeinander abstimmen müssen, um die Betreuung der beiden Jüngsten an unterschiedlichen Schulen unter einen Hut zu bekommen. Sabine Stockhorst-Bodenstein hätte das in Kauf genommen.
Bei der Ablehnung aus Krefeld flossen Tränen
Doch Ende April kam die Ablehnung für Finn. „Ich habe tatsächlich Rotz und Wasser geheult“, gibt seine Mutter zu: „Was haben wir nicht, was andere haben?“ Die Krefelder Schule antwortete: Bei 120 Plätzen und 200 Bewerbungen gäbe es nun mal nicht für jeden einen Platz.
Warum geht einer Mutter eine solche Absage so nah? „Weil es eine Entscheidung ist, die das Leben des eigenen Kindes betrifft. Weil man wissen will, wo es hingeht. Weil man immer Angst hat, dass einem bei den eigenen Kindern die Zeit wegrennt. Und weil man für seine Kinder stets nur das Beste will.“
Ehemann Frank sieht – ganz pragmatisch – auch die guten Seiten der Ablehnung: „Die Gesamtschule ist neu. Beim Tag der Offenen Tür sind wir super empfangen worden. Die Schule ist hier um die Ecke. Und den Schulhof teilt man sich mit dem Gymnasium. Da kann Finn auch Freunde aus der Grundschule treffen!“
Und was sagt Finn selbst, der coole Zehnjährige mit dem bisher einzigen Berufswunsch, einmal ICE-Fahrer zu werden? Er freut sich „auf was Neues, auf neue Lehrer, die neue Klasse und den Chemieraum.“ Jetzt kommen bald erst mal die Sommerferien, bis es losgeht, hat Finn noch ein ganzes Zeitalter andere Dinge zu tun.