So teuer ist die Sanierung des Welterbes Zollverein wirklich
Die Kosten für die Sanierung des Weltkulturerbes wurden nie veröffentlicht. Recherchen ergaben: Sie liegen um fast das Fünffache höher als ursprünglich veranschlagt. Den Zollverein-Fans ging es von Beginn an darum, eine öffentliche Diskussion um die Kosten zu vermeiden.
Essen.
Das Weltkulturerbe Zollverein kostet die Menschen in NRW viel Geld. Wie teuer die ehemalige Zeche tatsächlich ist, war bis jetzt weitgehend unbekannt. Nach Recherchen dieser Zeitung flossen saftige dreistellige Millionenbeträge ins Projekt – dabei sollte es einst nur 90 Millionen Euro kosten. Nun wird deutlich: Die Sanierung hat den Steuerzahler bis dato fast das Fünffache gekostet. Aktuelle Schätzungen lagen dagegen meist bei rund 160 Millionen Euro.
Aus Projektlisten der Bezirksregierung Düsseldorf und des Wirtschaftsministerium NRW geht hervor, dass die Sanierung fast 440 Millionen Euro verschlungen hat. Die EU, der Bund und das Land NRW haben davon mindestens 350 Millionen Euro bezahlt. Der Restbetrag ist offen, die Stadt Essen sagte auf Anfrage nicht, wie hoch ihr Anteil an den Gesamtkosten ist.
„Wir machen alles platt“
Wären die Zahlen vor 25 Jahren absehbar gewesen, Zollverein wäre in dieser Form niemals saniert worden. Karl Ganser war Ende der 80er Jahre im Bauministerium für den Denkmalschutz und damit die Zeche Zollverein zuständig. „Die Position der Stadt Essen war damals: ‚Wir machen alles platt‘“, sagt Ganser heute. „Jede Zahl wäre illusorisch gewesen, die wollten doch nur den Doppelbock stehen lassen. Ich hab’ damals gesagt: Lass uns mal mit zehn Millionen anfangen, dann sehen wir weiter.“
Allein die Standorte des Weltkulturerbes verschlangen nach Angaben des Landes mit Kokerei, Schacht XII und Schacht 1/2/8 eine Fördersumme von rund 251 Millionen Euro. Doch das ist längst nicht alles. 15 Millionen Euro Zustiftung des Landes für die Stiftung Zollverein müssen addiert werden. Weitere 13,45 Millionen Euro fließen als institutionelle Förderung des Landes in die alte Zeche, 1,4 Millionen Euro zahlt der Regionalverband Ruhr, 13,75 Millionen Euro fließen aus dem Bundesprogramm für Welterbestätten und eine Million Euro kommt vom Bundesbeauftragten für Kultur für die Kulturhauptstadt. Das ergibt: 295 515 278 Euro.
Zollverein-Sanierung hat den Steuerzahler 335,6 Millionen Euro gekostet – mindestens
Diese 295 Millionen beziehen sich allein auf den Hauptstandort. Will man wissen, wie viel die Sanierung der gesamten Zeche gekostet hat, muss das Geld addiert werden, das in andere Zollverein-Standorte geflossen ist, unter anderem Schacht 3/7/10 und Schacht 4/5/11. Hier haben Land, Bund und EU noch einmal mehr als 40 Millionen Euro investiert. Insgesamt hat die Sanierung des gesamten Geländes den Steuerzahler damit mindestens 335,6 Millionen Euro gekostet.
Was fehlt? Der Anteil der Stadt Essen. Deren Ausgaben konnten weder Bezirksregierung, noch Wirtschaftsministerium mitteilen. Auch die laufenden Kosten der Zeche sind bislang nicht bekannt. Die Stadt schreibt auf Anfrage, dass die Liste der Bezirksregierung Düsseldorf „sämtliche Fördermaßnahmen für die Förderkulisse der ‚Sozialen Stadt‘ Katernberg aufführt. Die benannten Fördermaßnahmen kommen dementsprechend nicht ausschließlich Zollverein zugute.“ Das ist nach Aussage des Wirtschaftsministeriums falsch.
Land, Bund und EU tragen höchstens 90 Prozent der Kosten
Mehrfach bestätigte das Ministerium der WAZ Mediengruppe: Projekte, die nur dem Stadtteil Katernberg zugute kommen, stehen nicht auf der Liste. „Diese enthält nur die Maßnahmen, die auf den Zollverein-Standorten durchgeführt wurden“, schreibt ein Sprecher des Ministeriums. Genaueres – auch zur eigenen Fördersumme – wollte die Stadt trotz mehrfacher Anfrage nicht mitteilen.
Dabei wäre die Fördersumme der Stadt spannend. In den der WAZ Mediengruppe vorliegenden Listen ist nicht nur aufgeführt, wie viel Land, Bund und EU dazu gegeben haben: Auch die Gesamtkosten jedes einzelnen Projektes sind vermerkt. So haben die aufgeführten Projekte insgesamt 393 202 711 Euro gekostet. Die meisten der 159 gelisteten Projekte sind von Land, Bund und EU mit maximal 90 Prozent der Kosten gefördert worden, viele mit weniger. Den Rest dürfte zu großen Teilen die Stadt Essen zugeschossen haben. Die Vermutung liegt nahe, dass die Stadt Essen einen nicht unerheblichen Teil dieser knapp 100 Millionen Euro großen Differenz gezahlt hat.
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Jedes Jahr kommen neue Millionen hinzu
Zu den 393 Millionen kommen die bereits aufgeführten Zuschüsse über 44,6 Millionen Euro hinzu, zum Beispiel aus dem Bundesprogramm für Welterbestätten. Insgesamt haben Sanierung und Betrieb der Zeche seit 1986 also mindestens 437 802 711 Euro gekostet. Und jedes Jahr kommen neue Millionen hinzu.
Als die Stadt sich Ende der 80er Jahre für die Sanierung des Zollverein-Geländes entschied, war keine Rede von 350 Millionen Euro. Um die Kosten abzuschätzen, beriet ein Arbeitskreis „Nutzungskonzept Industriedenkmal Zollverein XII“ die Sanierung. Im Auftrag des NRW-Bauministeriums erstellten die zehn Mitglieder des Arbeitskreises im Februar 1988 einen internen Bericht für die Landesentwicklungsgesellschaft NRW, heute NRW.Urban.
Es gab kein Gesamtkonzept für Zollverein
Am Bericht beteiligt waren neben der Stadt Essen, dem Kommunalverband Ruhrgebiet, der heute Regionalverband Ruhr heißt, und dem Landschaftsverband Rheinland auch eine Stadtplanerin, die Uni Bochum, die Fern-Uni Hagen und Ulrich Borsdorf, damals vom Ruhrlandmuseum Essen. Dazu kamen drei externe Gutachter. Die Gruppe rechnete vor: Die Sicherung des Bestandes koste umgerechnet 34 Millionen Euro, mit weiteren 53 Millionen Euro sollte das Gelände nutzbar gemacht werden. Insgesamt prognostizierten die Experten in ihrer ersten Schätzung Kosten von knapp 90 Millionen Euro.
Die damals geschätzten Kosten wirken im Vergleich zu heute erstaunlich gering. Trotzdem wurde das Gutachten von Bauministerium und Landesentwicklungsgesellschaft nie veröffentlicht: Die Summe schien damals zu hoch, um sie der Öffentlichkeit zuzumuten. Auch die Stadt Essen durfte nichts von den hohen Kosten erfahren. Von einem „Maulkorb” spricht Hans Friedrich Schirk, damals Professor an der Gesamthochschule Wuppertal und einer der drei Gutachter.
Eine öffentliche Diskussion wollten die Zollverein-Fans vermeiden
Winfried Knierim war Ende der 80er Jahre bei den Verhandlungen dabei, ab November 1989 war er der erste Geschäftsführer der Bauhütte Zollverein. „Wir wussten: Wenn wir sagen, wie teuer das alles wird, hätten sich Stadt und Land niemals darauf eingelassen.“ Im Grunde gab es kein Gesamtkonzept. Zollverein bekam oft zusätzliches Steuergeld, wenn beim Land kurz vor Ende des Jahres noch Förderung übrig war, die sonst verfallen würde, erinnert sich Knierim.
Fans der Zollverein-Sanierung vermieden eine öffentliche Diskussion. „Und die Taktik hat ja auch funktioniert. Wir haben nicht aufgegeben, nach und nach floss immer mehr Geld“, sagt der ehemalige Bauhüttenleiter Knierim. „Die Stadt Essen hatte Angst, dass Zollverein ein Fass ohne Boden wird. Und das ist es ja auch geworden. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem man nicht mehr zurück konnte.“
Trotz mehrfacher Anfrage wollte sich die Stadt Essen zu den damaligen Entwicklungen nicht äußern. Auch die Stiftung Zollverein antwortete trotz mehrerer Telefonate und schriftlicher Anfragen nicht.