Apotheker, Gärtner, Gastronomen – viele Menschen haben ihr Vermögen einst in die Schweiz geschafft, am deutschen Fiskus vorbei. Der Fall Uli Hoeneß lässt so manche nicht mehr ruhig schlafen. Die Zahl der Steuer-Selbstanzeigen war noch nie so hoch wie in den vergangenen Monaten. Was treibt Steuersünder nun in die Anwalts-Kanzleien?
Düsseldorf.
Wenn ein Rechtsanwalt, ein Strafrechtler noch dazu, seinen Klienten mit Falcos „Kommissar“ die Zeit in der Telefon-Warteschleife verkürzt, dann kann man davon ausgehen, auf einen humorvollen Menschen zu stoßen. Was tröstlich sein kann, in schwieriger Lage. Und in schwieriger Lage befinden sich viele Klienten des Düsseldorfer Professors Jürgen Wessing. Seit Monaten profitiert er von dem Hoeneß-Effekt, von dem Drang zur Selbstanzeige: „Drah’ di net um,… der Kommissar geht um!“
Denn so enden wie Uli Hoeneß, das will keiner von ihnen. Auf der Anklagebank, öffentlich vorgeführt als Steuersünder, entblättert bis ins Private. Seit das NRW-Finanzministerium 2010 erste CDs mit Schweizer Bankdaten ankaufte, treibt es viele Steuerhinterzieher, endlich reinen Tisch zu machen. Mit den ersten Nachrichten über Hoeneß ging die Zahl noch einmal sprunghaft nach oben. Allein im Februar, in den Wochen vor dem Prozess gegen den Bayern-Chef, zeigten sich in NRW 956 Menschen selbst an. Ein Ansturm, der die Behörden überfordert. „Da hat sich ein Riesenstau aufgebaut. Inzwischen sind sie bei den Selbstanzeigen aus 2010 angelangt“, sagt Jürgen Wessing.
Wer zu ihm kommt, der hat Druck. Der schläft nicht mehr gut, aus Sorge entdeckt zu werden. Aus Angst, dass irgendwann die Steuerfahnder vor der Tür stehen. Das sind Menschen wie jene drei Brüder, deren Mutter gerade erst gestorben war. Drei brave Mittelständler, die von einem Anwalt plötzlich erfahren, dass auf dem Konto einer Schweizer Bank 20 Millionen Euro für sie liegen. Geld, das schon die Mutter geerbt hat, das Vermögen ihres Großvaters, eines schlesischen Großgrundbesitzers, der schon 1933 Übles ahnte und sein Bares in die Schweiz brachte. Aber eben unversteuert seit Jahrzehnten.
Prozess statt Straffreiheit
Das sind Apotheker, Gärtner oder Restaurant-Chefs, die ihr Schwarzgeld aus dem Land schafften. Das sind Mittelständler, Unternehmer, die ihre nicht versteuerten Einnahmen und Provisionen in Zürich anlegten. „Hier sitzen selten die Jungen, meist die Älteren. Und ein Zocker wie Hoeneß ist die absolute Ausnahme“, sagt der Strafrechtler Wessing, der, wenn’s allzu drängt, sogar am Wochenende zur Hilfe gerufen wird.
Zeit der SelbstanzeigenUnd manchmal pressiert es tatsächlich. Etwa dann, wenn da ein Klient sitzt, mit 50 Millionen Euro auf einer Schweizer Bank, deren Name bereits durch die Presse gegangen ist. „Dann wissen wir, wir müssen schnell sein, sonst ist es zu spät“, so der Anwalt. Schließlich muss die Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft eingehen, bevor das Konto entdeckt wird. Sechs bis acht Wochen dauert es im Schnitt, bis die Finanzen eines Reumütigen geklärt werden können, als Grundlage für eine Selbstanzeige. Was eine unvollständige Selbstanzeige bedeutet, weiß jeder seit Hoeneß. Prozess statt Straffreiheit.
Selbstanzeige kann Mitwisser belasten
Zeiten gibt es, erklären Wessing und sein Junior-Partner Heiko Ahlbrecht, da seien sie mehr in Zürich als in Deutschland. Recherchieren, Unterlagen besorgen, mit Bankern reden. Selbstanzeiger zu beraten, das ist Juristerei, natürlich, das bedeutet aber auch Händchen-Halten, Betreuen. Schließlich liegen bei manchem Klienten die Nerven blank, will er jeden einzelnen Schritt genau erklärt bekommen, manchmal sogar begleitet werden, wenn er das Schließfach in der Schweiz öffnet.
„Wir hatten Situationen, da lagen in einem harmlos aussehenden Kästchen zwei Kilo Diamanten oder 181 Ein-Kilo-Goldbarren. Ich habe dann so getan, als ob das normal wäre“, sagt Wessing. Doch nicht immer ende ein Beratungsgespräch tatsächlich mit einer Selbstanzeige.
Manchmal steht am Ende die Erkenntnis, so allenfalls den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die Erkenntnis, dass eine Selbstanzeige auch bedeuten kann, die Zulassung etwa als Arzt zu verlieren oder andere Mitwisser auch zu belasten.
Nur wenige sind so nervenstark, auf eine Verjährung zu warten
Da entscheidet sich doch manch einer lieber dafür, weiter zu zittern, zu hoffen. Andere wiederum sind einfach nur nervenstark. Wie jene Drogisten-Familie aus dem Schwäbischen, Inhaber von drei Filialen. Schaffe, schaffe haben die ihr Schwarzgeld im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs ins Nachbarland gebracht. In der Rechtsberatung bei dem Düsseldorfer Anwalt entschieden sie sich gegen eine Selbstanzeige und für die Taktik abzuwarten. Zehn, elf, zwölf Jahre ins Land gehen zu lassen, bis die Steuerhinterziehung verjährt ist.
Und wenn sie ihre Meinung nicht geändert haben, reisen sie noch heute vor jeder größeren Anschaffung, vor jedem Urlaub in die Schweiz, Geld abholen. Jürgen Wessing: „Die Nerven haben die wenigsten!“