Top-Forscher Kai Schmidt aus Dortmund hangelte sich früher von Vertrag zu Vertrag. Ein Milliardenprogramm soll jungen Wissenschaftlern wie ihm helfen.
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Er musste 40 Jahre alt werden, bis es endlich geklappt hat: Kai Phillip Schmidt wurde Professor. Schmidt ist ein Vorzeige-Wissenschaftler, erwarb sich einen internationalen Ruf durch seine Arbeiten in der Quantenphysik und sammelte reihenweise Forschungspreise ein. Mit 32 erhielt er den renommierten europäischen Preis für junge Wissenschaftler (EURYI), später den Innovationspreis NRW, da war er 34 Jahre jung. Zwischendurch forschte er im Ausland. 2008 übernahm er die Leitung einer Forschungsgruppe an der TU Dortmund. Dennoch hangelte sich der Top-Physiker von Zeitvertrag zu Zeitvertrag.
„Rund 100 Bewerber gibt es im Normalfall für eine Professorenstelle in meinem Fach“, sagt Schmidt. Nur ein Bruchteil der hochqualifizierten Akademiker schafft es bis zu diesem Punkt, „die meisten brechen ab, gehen ins Ausland oder in die Wirtschaft“, erzählt Schmidt. Seit kurzem hat er den Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Uni Erlangen, seine Frau und die beiden kleinen Kinder werden bald aus Dortmund nachziehen. Es ist keine Überheblichkeit, wenn er sagt: „An meiner Leistung lag es nicht, dass es so lange mit der Professur dauerte.“
Denn der Dortmunder Physiker ist keine Ausnahme: Hoch motiviert und bestens ausgebildet, aber schlecht bezahlt und auf wackeligem Posten – so stellt sich immer noch die Lage der zukünftigen Elite dar. Etwa 80 Prozent der bundesweit rund 180 000 hauptberuflichen wissenschaftlichen Mitarbeiter haben befristete Verträge und wissen nicht, ob sie jemals eine feste Stelle ergattern. Karriere oder Familie können sie nicht planen. Und mit Ende 30, Anfang 40 stehen sie vor der Wahl: Weiter auf eine unsichere Uni-Karriere setzen oder abspringen? Viele wählen die zweite Variante. „Es ist unanständig, wie mit den Nachwuchswissenschaftlern umgegangen wird“, empörte sich schon vor Jahren Gerhard Keller, Hochschulexperte der Bildungsgewerkschaft GEW.
Abgesicherte Laufbahn für mindestens 1000 junge Forscher
Das soll sich jetzt ändern oder zumindest bessern: Nach der Einigung auf das Milliarden-Programm zur Förderung der Spitzenforschung an Universitäten (Exzellenzinitiative), haben Bund und Länder nun beschlossen, auch die Lehre und die Karrieren des wissenschaftlichen Nachwuchses zu fördern. Eine Milliarde Euro schwer ist das Programm, mit dem bis 2032 bundesweit mindestens 1000 sogenannte Tenure-Track-Professuren geschaffen werden sollen.
Das in den in den USA schon seit langem üblichen Tenure-Track-Verfahren ist quasi eine abgesicherte Laufbahn von herausragenden Nachwuchswissenschaftler zum Lebenszeit-Professor – sofern die Leistungen überzeugen. Erreichen die Forscher die mit der jeweiligen Uni vereinbarten Ziele, wird ihre Stelle nach sechs Jahren entfristet. Die Stellen sollen nach Auslaufen des Programms von den Ländern dauerhaft weiterfinanziert werden. Die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin müssen dem Programm am 16. Juni noch zustimmen – das allerdings gilt als Formsache.
Der normale Weg verläuft immer noch etwa so: Nach dem Studium ist eine Promotion Pflicht. Wer Glück hat, ergattert danach eine Habilitationsstelle und verfasst sechs Jahre eine Habilitationsschrift. Damit kann man als Privatdozent arbeiten und sich nach mehrjähriger Erfahrung auf eine Professur bewerben – falls eine frei wird und das Berufungsverfahren übersteht. Der Tenure-Track-Weg schafft hier deutlich mehr Sicherheit.
207 zusätzliche Stellen für NRW
Die 1000 zusätzlichen Stellen werden nach einem bestimmten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. „Nach dieser Länderkontingentierung entfallen auf NRW 207 Stellen für Tenure-Track-Professuren“, teilt das Wissenschaftsministerium in Düsseldorf mit. Das ist angesichts des Studentenzustroms nicht die Welt, doch bedeutet es eine gewisse Entlastung für die Hochschulen, zumal das Verhältnis zwischen Professoren und Studierenden in NRW mit eins zu 68 besonders schlecht ist, das Land markiert hier bundesweit das Schlusslicht.
Während die NRW-Landesregierung in dem Programm einen „Kulturwandel für die Universitäten“ erkennt, geht es der Bildungsgewerkschaft GEW nicht weit genug: „1000 neue Stellen sind gut – aber sie decken den Bedarf an den Hochschulen nicht. Wir brauchen 5000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren“, sagte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Keller. „Das Programm, das Bund und Länder jetzt vereinbart haben, kann nur der Anfang sein.“ Zudem ändere es an der Misere der mangelhaften Grundfinanzierung der Hochschulen nichts.
Vorrangiges Ziel aber ist ein Ende der Unsicherheit und besser planbare Lebensläufe für die Nachwuchsforscher – auch zum Vorteil der jeweiligen Uni. NRW-Wissenschaftministerin Svenja Schulze (SPD) sieht in dem Programm immerhin einen „Schritt in die richtige Richtung“, der durch weitere Maßnahmen der Landesregierung zur Förderung des Nachwuchses flankiert werde. Wichtig sei, dass sich die Gesamtzahl der Professuren an den Unis durch das Programm dauerhaft erhöht.
„Für mich kommt das leider zu spät“, sagt Physiker Schmidt. Er habe stets die Tenure-Track-Option für talentierte Nachwuchsforscher gefordert. Auch er begrüßt die neue Förderung: „Es könnte ein Schritt sein, jetzt auf Dauer eine solche Option ins System einzubauen.“