Countdown für Opel Bochum läuft – Chronik des Niedergangs
Nach 52 Jahren bleiben im einzigen Automobilwerk des Ruhrgebiets am 5. Dezember die Bänder für immer stehen.
Bochum.
Es ist eine letzte Ironie der Opel-Geschichte im Ruhrgebiet. Wenn Kinder ihre Stiefel vor die Tür stellen, dann endet am Nikolausabend im Dezember 2014 wohl für immer die einst stolze Automobilproduktion in Bochum-Laer. Es ist die Geschichte eines Aufstiegs aus dem Nichts, ebenso wie die Chronik eines sich lange ankündigenden Todes. Und wenn es am Ende viele Gründe gibt, warum das Werk stirbt, einen gibt es sicher nicht: An den Menschen und ihrer Arbeit hier im Revier hat es nie gelegen.
Rückblende ins Ruhrgebiet der späten Fünfzigerjahre. Der ungeheure Kohle-Boom der Nachkriegsjahre ist vorbei, die ersten Zechen sterben. Bochum verliert in schneller Folge vier Bergwerke mit fast 14.000 Stellen. Am Opel-Stammsitz in Rüsselsheim sieht es umgekehrt aus. Es fehlen neben den Produktionskapazitäten die Fachkräfte zum Bau eines neuen Automobils für die strebsamen deutschen Arbeiter und Angestellten, die sich nichts mehr wünschen als ein richtiges Auto. Mangels Alternative entscheiden sie sich fast alle für einen Volkswagen.
„Was Opel nützt, nützt auch Deutschland“
Heute würde man von einer Win-Win-Situation sprechen. Die Stadtväter wollen das Werk, Opel will die Bochumer. Die fast 1,5 Millionen Quadratmeter ehemaliger Zechengrund kosten 300 Millionen Mark, am Ende bekommt Opel sie als Subvention so gut wie geschenkt. Der Vorstandsvorsitzende der seit 1929 zum US-Giganten General Motors (GM) gehörenden deutschen Tochter bringt es 1960 im „Spiegel“ so auf den Punkt. „Was Opel nützt, nützt auch Deutschland“, sagt Eduard W. Zdunek.
Ungeteilt ist die Begeisterung im Schwerindustrierevier nicht. Die Generaldirektoren der Zechen und Stahlwerke fürchten, dass ihre Facharbeiter lieber im Blaumann am Fließband Autos zusammenschweißen und -schrauben, als unter Tage oder am Hochofen zu schwitzen. Deshalb werden die Verhandlungen lange Zeit im Geheimen geführt.
Mit der offiziellen Eröffnung am 12. Oktober 1962 – pünktlich zum 100-jährigen Bestehen von Opel – läuft der neue Kadett vom Band, Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte. 9300 Arbeiter sind es zum Start, 20 Prozent kommen aus dem Bergbau. Und sie kommen gerne, gibt es doch 3,60 Mark in der Stunde, während es beispielsweise bei Krupp nur 2,80 sind und das im Akkord.
Als Opel noch einfach „O.K.“ war
„Kurz gesagt: O.K.“ feiert die Opel-Werbung den Kadett. Viele seiner bald nach Hunderttausenden zu zählenden Besitzer sind stolz, ein „richtiges“ Auto wie eine kleine Limousine zu fahren, und eben keinen buckeligen VW (Ein paar mehr PS hat der O.K. auch). Kein Wunder, dass der Marktanteil von Opel im Revier bald höher ist als sonst wo.
Zwei Jahrzehnte lang geht es nur bergauf. Der einmalige Mini-Sportwagen GT wird 1968 in Laer montiert. Rallyelegende Walter Röhrl erfährt 1973 die inoffizielle Weltmeisterschaft in einem Ascona aus Bochum. Anfang der Achtziger scheint es so, als könne die Marke mit dem Blitz VW einholen. Herbert Grönemeyer besingt 1983 seinen Kadett, die Toten Hosen setzen der „Opel Gang“ ein punkiges Denkmal. Steffi Graf schlägt für Opel auf.
Als Opels Welt noch „Wonderful“ war
1989 verkauft Opel als erster nur noch Autos mit geregelten Katalysator, und Louis Armstrong singt dazu in der Werbung „What A Wonderful World“. Es scheint die Begleitmusik einer endlosen Erfolgsgeschichte zu sein, doch tatsächlich hört man die ersten Töne des Abgesangs.
Denn beim „General“ im fernen Detroit ticken die Uhren anders. Die deutsche Tochter, zuvor ein Anhängsel irgendwo in Old Europe, wird Mitte der Achtziger an die Kandare genommen und soll möglichst viel Profit abwerfen, koste es, was es wolle.
Brennende Astra – Anfang vom Ende
Viele Kompetenzen werden an das neue Hauptquartier GM Europe im autofernen Geldland Schweiz verlagert. Mit dem 1987 eingesetzten berüchtigten Opel-Sparkommissar José Ignacio López setzt eine Qualitätskatastrophe ein. Der überehrgeizige Spanier quetscht die Zulieferer bis auf den letzten Pfennig aus, die Folge sind schlechtere Einzelteile. Aus „Opel, der Zuverlässige“, bei dem laut Stammtischweisheit lediglich mal die Wasserpumpe streikt, wird ein Hinterbänkler in allen Zuverlässigkeitsstatistiken.
Schlimmer noch: Anfang 1994 brennen einzelne Astra beim Tanken, auch bei einem RTL-Mitarbeiter. Es fehlt ein Pfennigteil am Tankstutzen. Auf die technische folgt die mediale Katastrophe, denn Opel stammelt nur, statt zu reagieren.
Managementfehler bei Opel – Fatale Folgen des GM-Diktats
Eduard Zdunek war fast 13 Jahre lang Chef bei Opel. Seit 1996 wechseln die von Detroit eingesetzten Statthalter im Dreijahrestakt. Die meisten von ihnen tun sich mit der deutschen Sprache wie mit deutschen Verhältnissen schwer.
Eigentlich ist die Herangehensweise stets die gleiche wie von GM seit Jahrzehnten in den USA gepflegt: Lieber baut man ein Auto billig als gut und versucht dann, es mit viel Werbung und notfalls Rabatten in den Markt zu drücken, umgekehrt zum Ansatz bei Volkswagen unter der Regentschaft des fanatischen Ingenieurs Ferdinand Piëch. Opel wird abgehängt. Im Tourenwagensport blamiert man sich fünf Jahre lang, bis man aufgibt.
In der Technik viele Trends verschlafen
Opel reiht Fehler an Fehler: Der erste Astra sieht nicht nur langweilig aus, er rostet auch. Attraktive Nischenmodelle wie einst der GT sind Vergangenheit. Den Trend zum modernen Dieselmotor im Pkw mit sparsamer Direkteinspritzung verschläft man. Hat man mal einen Vorsprung, so wie bei den ersten erschwinglichen Geländewagen einer europäischen Marke, verspielt man ihn wieder. Auch bei dem von Porsche mitentwickelten und in Bochum gebauten ersten deutschen Minivan ist es 1998 nicht anders. Der Zafira setzt den Trend, Opel macht nichts daraus.
In Deutschland sinkt der Opel-Marktanteil von einst 17 Prozent in 1994 in 20 Jahren auf 7 Prozent. Der Export in die Wachstumsländer Asiens wie China bleibt Opel von GM verwehrt. Die in Korea gebaute GM-Billigmarke Chevrolet kannibalisiert Opel dagegen in Europa. Es gäbe noch viele Managementfehler aufzuzählen. In der Wirtschaftskrise von 2009 werden die lange bekannten Stilllegungspläne durchgepaukt: erst 2010 Antwerpen, jetzt Bochum.
An den Menschen und ihrer Arbeit hat es nicht gelegen.