Mit einem neuen Projekt will die Landesregierung verhindern, dass immer mehr Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Schulkinder, die zu Fuß kommen, werden mit „Zaubersternen“ belohnt – wer mit dem Auto kommt geht leer aus. Eine FDP-Abgeordnete wittert die Missachtung von Elternrechten.
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Die Kinder mal schnell zur Schule fahren. Was viele Eltern gut meinen, ist in einigen NRW-Städten längst zu einem gut sichtbaren Problem geworden. Offenbar trauen immer weniger Eltern ihren Kinder zu, selbst zur Schule zu laufen. Sie setzen auf das „Eltern-Taxi“. Die Folge: verstopfte Straßen, Eltern, die im Halteverbot parken, Gedränge vor dem Schultor.
Deshalb hat die Landesregierung das Projekt „Verkehrszähmer“ ins Leben gerufen. Ziel des Projektes ist es, Eltern klar zu machen, dass ihre Kinder den Schulweg selbst bewältigen können. Kommen Kinder zu Fuß zur Schule, werden sie mit sogenannten „Zaubersternen“ belohnt. Für jeden selbst gelaufenen Hin – oder Rückweg zur Schule gibt es einen Zauberstern. Kinder, die von den Eltern gebracht werden, gehen hingegen leer aus.
Zaubersterne für verlängerte Pause
Mit den Zaubersternen kann die Klasse sich anschließend eine verlängerte Pause oder „Hausaufgabenfrei“ erkaufen. Bei Yvonne Gebauer, NRW-Landtagsabgeordnete der FDP, stößt „Verkehrszähmer“ aber auf wenig Gegenliebe. In einer kleinen Anfrage an die Regierung wandte sie sich gegen das Projekt. „Höchst fragwürdig“ nennt Gebauer die Initiative der Landesregierung.
Es handele sich dabei um eine Art „Denunziation“ des „Fehlverhaltens“ der eigenen Eltern durch kleine Kinder. Schließlich müssen die Kinder jeden Morgen verraten, ob ihre Eltern sie mit dem Auto gebracht haben oder nicht. Gebauer befürchtet, man wolle die Eltern in ihrer Erziehung einschränken. „Verkehrszähmer“ sei der Versuch, „Elternrechte“ abzuerkennen, sagt Gebauer.
„Die Kinder finden das Projekt toll“, berichtet hingegen Gaby Schwartz-Bernd, Leiterin der städtischen Gemeinschaftsgrundschule in Herzogenrath. Ihre Schule nimmt schon seit längerem am Projekt „Verkehrszähmer“ teil. „Die Kinder sind immer ganz stolz, wenn sie morgens erzählen können, dass sie zu Fuß gekommen sind.“ Dass Kinder, die mit dem Auto kommen, ausgegrenzt wurden, davon habe sie noch nie gehört. Auch die Eltern seien sehr verständnisvoll.
Eltern unter Generalverdacht?
„Die sind froh, dass wir ihnen eine Struktur geben, wie sie ihre Kinder am besten loslassen. Viele sind mittlerweile sehr unsicher, was sie ihren Kindern erlauben dürfen.“ Die Eltern seien außerdem im Vorfeld über Elternbriefe und an Elternabende gut über das Projekt informiert worden. Bisher sei das auch recht erfolgreich: „Mittlerweile bringen weniger Eltern ihre Kinder mit dem Auto“, sagt Schwartz-Bernd.
Dass die Elternbriefe auch den richtigen Ton treffen, bezweifelt FDP-Abgeordnete Gebauer: „Den Schulleitern wird empfohlen zu schreiben: Ihr Elterntaxi löst aber kein Problem. Ihr Elterntaxi ist Teil des Problems“, heißt es in der kleinen Anfrage. Hier unterstelle man Eltern pauschal und undifferenziert, dass „ihre Elternentscheidungen falsch und ein Problem“ seien.
Eltern wollen die Kinder nicht im Polo fahren lassen
Nicht ganz zu Unrecht, findet der Autor des Buches „Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Überbehütung“, Josef Kraus: „Ich kann solche Projekte nur begrüßen. Die Überbehütung durch Eltern hat in den letzten Jahren Überhand genommen. Manche Eltern fahren ihre Kinder sogar für einen Weg von 300 Metern zur Schule und verstopfen dadurch die Straßen“, sagt Kraus. Eltern hätten längst eine gesundes Maß im Umgang mit ihren Kindern verloren.
„Mittlerweile höre ich sogar von Eltern, die bei Fahrgemeinschaften für die Kinder darauf achten, welches Auto die Eltern haben. Ein Polo reicht da nicht immer.“ Einen Eingriff in die Rechte der Eltern kann er im Gegensatz zu Yvonne Gebauer nicht sehen: „Es geht doch dabei vielmehr um die Förderung der Selbstständigkeit von Kindern.“
Lernresistente Eltern
Manche Eltern scheinen, wenn es um ihre Kinder geht, allerdings ziemlich lernresistent zu sein. Das musste auch die Duisburger Polizei erfahren. Dort führten die Beamten im Frühjahr Verkehrskontrollen vor einer Grundschule durch. So wollten sie Eltern darauf hinweisen, wie gefährlich sie sich beim Transport der Kinder zur Schule verhalten.
Einen nachhaltigen Effekt habe das aber nicht gehabt, meint Ramon van der Maat, Sprecher der Duisburger Polizei: „Jedes Jahr gibt es neue Eltern. Denen muss man es neu beibringen.“ Es gebe immer wieder Mütter und Väter, die im Halteverbot parken würden und so ausgerechnet jene Kinder gefährden, die selbst zur Schule gehen.“
Schwarz-gelbe Landesregierung förderte ähnliches Projekt
„Schulen sollten Eltern zumindest den Hinweis geben, welche Vorteile es hat, die Kinder zur Schule gehen zu lassen“, meint auch Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Erziehung und Bildung in NRW. „Am Ende liegt die Verantwortung aber natürlich bei den Eltern“, stellt er klar. Man solle bei ihnen ein Bewusstsein für das Problem schaffen, so Beckmann.
Die Landesregierung versichert in einer Stellungnahme dann auch, dass man nicht vorhabe, „Eltern zu erziehen“ oder in Elternrechte einzugreifen. Im übrigen sei „Verkehrszähmer“ nur eine Weiterentwicklung des Projekts „Walking Bus“, das 2006 von der damaligen schwarz-gelben-Landesregierung eingeleitet wurde. Auch „Walking Bus“ zielte darauf ab, dass Grundschulkinder ihren Schulweg zu Fuß zurück legten. Damals gab es allerdings keine Zaubersterne. Sondern Urkunden.