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Justizskandal um Endlos-Häftling geht nach 43 Jahren weiter

Justizskandal um Endlos-Häftling geht nach 43 Jahren weiter

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Angola 3 inmate ordered released Foto: Archiv/dpa
43 Jahre Einzelhaft: Ein möglicherweise zu unrecht wegen Mordes verurteilter Amerikaner sollte freikommen – doch daraus wurde nichts.

Washington. 

Zwischen den Mühlsteinen der Justiz zerrieben zu werden, ist für Albert Woodfox Lebensalltag. Seit 43 Jahren. Der Mann aus New Orleans ist Amerikas am längsten in Isolationshaft einsitzender Häftling. Seine Geschichte hat Dutzende Reporter, Buchschreiber, Theater-Regisseure, Menschenrechts-Organisationen und die Vereinten Nationen beschäftigt. Am Freitag sollte er freikommen. Ein Gericht hat sich in letzter Minute dagegen gestellt.

Obwohl höhere Instanzen das gegen ihn verhängte Urteil wegen Mordes an einem Gefängniswärter aus dem Jahr 1972 in zwei Prozessen verworfen haben, musste der ursprünglich wegen eines Raubüberfalls in der berüchtigten Haftanstalt „Angola“ im US-Bundesstaat Louisiana einsitzende Woodfox jahrzehntelang 23 Stunden am Tag in der Einzelzelle verbringen. Ohne Fenster, Medienkonsum und Außenkontakte. Freiheitsentzug trotz Freispruchs. Internationaler Protest sorgte zuletzt für Lockerungen und die Überstellung in eine etwas weniger übel beleumundete Haftanstalt in der Nähe.

Nachdem zwei verurteilte Mitstreiter freikamen, der eine 2001 nach 29, der andere 2013 nach 40 Jahren, wurde Albert Woodfox im nationalen Selbstgespräch zum Sinnbild für Justiz-Willkür und die Grausamkeit der Einzelhaft. Die lange ignorierten Rufe nach seiner Freilassung wurden vor wenigen Tagen erhört.

Justiz will Woodfox zum dritten mal den Prozess machen – in derselben Sache

Bundesrichter James Brady verfügte in einer für die Justiz in Louisiana vernichtenden Anordnung, dass Woodfox „umgehend“ in die „bedingungslose Freiheit“ zu entlassen ist. Zu lange habe sich die Justiz an dem 68-Jährigen vergangen. Ihm zum dritten Mal in ein und derselben Sache den Prozess zu machen, wie Louisianas Staatsanwaltschaft das beabsichtigt, grenze an Unmenschlichkeit.

Bradys Begründung: Albert Woodfox ist alt und krank. Zeugen, die den Tod des Wärters Brent Miller 1972 miterlebten, sind tot und etliche Beweismittel wie DNA-Proben spurlos verschwunden. Und: Mit einem fairen dritten Prozess kann Woodfox in Louisiana sowieso nicht mehr rechnen. Darum: sofortige Freilassung!

Justizminister von Louisiana ging in Berufung gegen Freispruch

Woodfox‘ Anwälte Carine Williams und George Kendall jubelten über die rigorose Haltung, hatten allerdings nur kurz Gelegenheit zur Freude. Dann trat Louisianas Justizminister James „Buddy“ Caldwell auf den Plan. Er legte Berufung gegen den Spruch der höheren Instanz ein und gewann Zeit. An diesem Freitag lief die Frist ab. Mit einem für Albert Woodfox ernüchternden Ergebnis: Die Suspendierung seiner Endlos-Freiheitsstrafe bleibt bis auf weiteres bestehen. Das Berufungsgericht will sich erst näher mit der Philippika von Richter Brady beschäftigen. Das kann Wochen dauern, wenn nicht Monate.

Dabei ist erwiesen, dass die Ermittlungen gegen Woodfox und seine beiden Mitverurteilten – Robert King und Hermann Wallace – damals schlampig und voreingenommen gehandhabt wurden; alle drei waren in den 70er Jahren hinter Gittern Aktivisten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung „Black Panther“. Dabei ist aktenkundig, dass es bis heute keinerlei eindeutige Beweise gibt und zumindest die erste Geschworenen-Jury rassistisch motiviert zusammengesetzt war. Dabei ist es Allgemeingut, dass Teenie Rogers, die Witwe des mit 33 Messerstrichen getöteten Wärters, seit Jahren für Woodfox vehement Partei ergreift: „Er war es nicht, lasst ihn frei und endlich Gerechtigkeit walten“, sagte sie gestern. Kommt nicht in Frage, verfügte Buddy Caldwell. Er hält Woodfox ohne Angaben von Gründen unverändert für den „gefährlichsten Mann der Erde“. Geht es nach ihm, soll Woodfox verwehrt bleiben, was Hermann Wallace zugestanden wurde. Er starb an Leberkrebs. Wenige Tage nach seiner Freilassung.

Staatsanwalt ingnoriert Anweisung des Bundesrichters

Dass Louisianas höchster Ankläger die Anweisung des Bundesrichters ignoriert, hat Kopfschütteln und Kritik bis in den Kongress von Washington ausgelöst. Der demokratische Abgeordnete Cedric Richmond spricht von einem „persönlichen Rachefeldzug“ Caldwells, der den Steuerzahler weitere Millionen kosten werde. Richmond wies darauf hin, das landesweit über 80.000 Menschen in Isolationshaft sitzen. Eine Haft-Methode, die der ehemalige Vietcong-Kriegsgefangene John McCain, heute republikanischer Senator, als reine Folter bezeichnet. „Sie erdrückt deinen Geist und schwächt deinen Widerstand stärker als jede andere Form der Misshandlung.“ In Louisiana sieht man das anders. Das Landesparlament hat am Donnerstag mit überwältigender Mehrheit eine Resolution abgeschmettert, die Caldwell zur Aufgabe seiner Mission gegen Woodfox gezwungen hätte.

„Angola“, das auf einer ehemaligen Sklaven-Plantage in einem von Sümpfen des Mississippi umgebenen Gebiet gebaute Hochsicherheitsgefängnis, ist berüchtigt dafür, Inhaftierte in Stahl, Beton und Einsamkeit lebendig einzusargen. Zeitweilig brachten sich hier 300 Häftlinge pro Jahr um, um sexueller Sklaverei und brutaler Gewalt zu entgehen. Blues-Legenden wie Leadbelly haben die „Hölle“ besungen. „Dead Man Walking“, der Hollywood-Film über eines zum Tode Verurteilten mit Sean Penn in der Hauptrolle, wurde hier gedreht. Alt zu werden in „Angola“ und bei Verstand zu bleiben, sagen Kriminologen, sei fast unmöglich. Am Eingangstor steht in reinstem Zynismus: „Vergessen sind alle diese Dinge, die hinter uns liegen – schauen wir vorwärts.“

Was Albert Woodfox dort vor wenigen Tagen sah, war die Freiheit. Eine Täuschung. Nach dem jüngsten juristischen Scharmützel spricht alles für die Fortsetzung eines seit 43 Jahren andauernden Martyriums.