Der türkische Präsident Erdogan sieht seinen Erzfeind, den islamischen Prediger Gülen, auch als Drahtzieher des jüngsten PKK-Terrors.
Ankara.
14 Tote, fast 300 Verletzte bei drei Terroranschlägen in nur 24 Stunden: Im Südosten der Türkei tobt der Kurdenkrieg jetzt noch heftiger als auf seinem bisherigen Höhepunkt in den 90er-Jahren. Staatschef Recep Tayyip Erdogan versucht, den Konflikt zu instrumentalisieren – gegen seinen früheren Verbündeten und heutigen Erzfeind, den Prediger Fethullah Gülen.
Premierminister Binali Yildirim eilte nach Elazig, einen der drei Anschlagsorte. Urheber der Attentate sei die kurdische PKK, „daran gibt es keinerlei Zweifel“, sagte Yildirim. Die PKK hat sich inzwischen auch zu dem Anschlag bekannt. Aber Staatspräsident Erdogan kennt den wahren Drahtzieher der blutigen Anschläge: seinen Widersacher Fethullah Gülen, den er auch für den fehlgeschlagenen Putschversuch verantwortlich macht. Die „terroristische Gülen-Gruppe“, so Erdogan, habe die PKK mit Informationen und geheimdienstlichen Erkenntnissen versorgt, Anhänger Gülens seien Komplizen bei den Attacken der PKK. So versucht Erdogan, die Anschläge der kurdischen Terroristen zur Waffe gegen Gülen umzufunktionieren.
Gülen bestreitet Beteiligung an den Putschplänen
Gülen selbst bestreitet aus seinem Exil in den USA jede Beteiligung an den Putschplänen. Es gibt aber Indizien für eine Beteiligung seiner Anhänger an dem Umsturzversuch. Der türkische Generalstabschef Hulusi Akar, der in der Nacht des Staatsstreiches von Aufständischen als Geisel genommen wurde, berichtet, Offiziere hätten unter Berufung auf Gülen versucht, ihn zum Mitmachen zu überreden. Der Prediger erklärte inzwischen, wenn einige seiner Gefolgsleute beteiligt gewesen sein sollten, so sei das gegen seinen Willen geschehen.
Erdogans These von einer Aktionsgemeinschaft Gülens mit der PKK klingt auf den ersten Blick unstimmig. Die Kurdenfrage war einer der Streitpunkte, die 2013 zum Bruch zwischen den einstigen Verbündeten Gülen und Erdogan führten: Während Erdogan eine friedliche Lösung des Konflikts anstrebte, lehnte Nationalist Gülen jedes Zugeständnis an die kurdische Autonomiebewegung ab.
Gülenisten sollen den Friedensprozess sabotiert haben
Es seien die Gülenisten gewesen, die den damaligen Friedensprozess sabotierten, sagt der Regierungspolitiker Mehdi Eker. Auch der Kurdenpolitiker Hatip Dicle bestätigt, die Gülen-Bewegung habe damals „alles darangesetzt, den Friedensprozess zu blockieren“. Im Regierungslager heißt es jetzt, das schließe allerdings nicht aus, dass sich nun versprengte Gülen-Anhänger im Sicherheitsapparat mit der PKK zusammentun, um den Konflikt zu schüren und den Staat zu schwächen.
Schon Ende 2014 sprach der damalige Premierminister Ahmet Davutoglu von angeblichen Verbindungen der PKK zur Gülen: „Wir wissen, wer mit wem spricht, wir haben Beweise.“ Der Journalist Ahmet Sik, der 2011 in seinem Buch „Die Armee des Imam“ die Unterwanderungsstrategie der Gülenisten im Staatsapparat beschrieb und als einer der besten Kenner der Bewegung gilt, hält diese These zwar für „absoluten Unsinn“. Sie passt aber in das aktuelle Klima einer Hexenjagd auf Gülen-Anhänger.
Vor wenigen Jahren ging ohne Empfehlung Gülens nichts
Noch vor einigen Jahren, als Gülen und Erdogan Verbündete waren, konnte man „ohne ein Empfehlungsschreiben Gülens nicht mal Klassensprecher werden“, spottet der Kurdenpolitiker Selahattin Demirtas. Wer jetzt regierungsnahe Medien verfolgt, muss den Eindruck gewinnen: Gülen ist an allem schuld. Der Mord an dem armenischen Bürgerrechtler Hrant Dink 2007 wird ebenso der Gülen-Bewegung in die Schuhe geschoben wie der Luftangriff der türkischen Streitkräfte auf 34 kurdische Dorfbewohner im Dezember 2011 und der Abschuss des russischen Bombers im syrischen Grenzgebiet im November 2015. Selbst Can Gürkan, der Chef der Soma-Minengesellschaft, in dessen Zeche 2014 bei einem Brand über 300 Kumpel starben, hat Gülen als Sündenbock entdeckt: Dessen Bewegung stecke hinter dem Unglück, erklärte Gürkan jetzt vor Gericht.
Trotz der Verfolgungsexzesse gegen Gülen-Anhänger, der möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe und des Konflikts mit der EU will die Türkei schon in sechs Jahre der Union beitreten. 2023 feiert die türkische Republik ihren 100. Geburtstag. „Es wäre die Krönung für mein Land, dann Mitglied der Europäischen Union zu sein“, sagte der türkische EU-Botschafter Selim Yenel der „Welt“. Derzeit seien zwar Bedingungen dafür nicht so günstig, aber das könne sich schnell ändern.