Hagen.
Mutmaßungen gibt es viele, doch noch bleibt es ein Rätsel, was zum Absturz der Germanwings-Maschine führte. Eine zerborstene Windschutzscheibe womöglich? So lautet eine der Spekulationen, die in Pilotenkreisen kursieren. Oder vielleicht eine Fehlfunktion des Autopiloten? Der erste Flugschreiber ist zwar geborgen, die Auswertung jedoch dauert an. Die Ungewissheit belastet Piloten, Kabinenpersonal und Passagiere.
Der Aufprall
Nach ersten Erkenntnissen der französischen Flugunfallbehörde ist die Unglücksmaschine mit 800 km/h gegen eine Felswand geprallt. Das entspricht der Geschwindigkeit einer Pistolenkugel. Vorher soll es an Bord keine Explosion gegeben haben. Schwerpunkte der Unfalluntersuchung: die Historie des Flugzeugs, einschließlich der Wartungsarbeiten, die Flugdaten sowie das Verhalten der Maschine während des Flugs.
Der Verdacht
Könnte eine geborstene Windschutzscheibe diesen Druckabfall ausgelöst haben, wie man in Pilotenkreisen überlegt? Nach nicht bestätigten Aussagen soll bei der Auswertung des Stimmenrekorders ein plötzliches Krachen im Cockpit zu hören gewesen sein, so, als ob etwas zerborsten sei. Die Piloten hätten gerade noch den Notlandeanflug einleiten können. Danach sei binnen weniger Sekunden nichts mehr zu hören gewesen. Ähnliche Zwischenfälle hat es bereits gegeben. Nach einem Wartungsfehler verlor im Juni 1990 eine British-Airways-Maschine im Landeanflug auf Malaga eine Cockpitscheibe. Der Pilot wurde halb aus der Kabine gerissen. Copilot und Kabinenbesatzung konnten verhindern, dass Menschen zu Schaden kamen. In Berlin musste im Februar 2009 ein A 321 der ägyptischen Fluggesellschaft Egyptair nach dem Start umkehren, weil eine Scheibe zerborsten war.
Warum kein Notruf?
Einen Notruf abzusetzen, dazu bleibe den Piloten manchmal in einer prekären Situation gar keine Zeit mehr, sagt Achim Figgen, stellvertretender Chefredakteur der Zivilluftfahrtmagazins „Aero International“. In Notfällen gilt für die Besatzung: aviate-navigate-communicate. Danach müsse das Flugzeug zunächst in eine stabile Lage gebracht und die Navigation kontrolliert werden, um sich dann bei der Flugsicherung zu melden. Letztere könne in einer Notlage am wenigsten helfen.
Ist der A320 ein Risiko?
Im Airbus A320 zu reisen, ist nach Ansicht von Achim Figgen, gebürtiger Medebacher, nach wie vor sicher. Auf eine Million Flüge kommen der Statistik zufolge 0,08 mit Todesopfern. „Ich fliege nach wie vor Airbus A320“, so der Luft- und Raumfahrttechniker. Auch dass die Maschinen in die Jahre gekommen sind, stellt seiner Einschätzung nach kein Risiko dar. Die Maschinen würden ordentlich gewartet und Updates der Bordcomputer aufgespielt. Die Ausfallwahrscheinlichkeit sei äußert niedrig.
Und der Faktor Mensch?
Die zunehmende Automatisierung werde allerdings bei manchen Luftfahrtgesellschaften als Problem erkannt, weiß Figgen. Piloten schalteten teils bereits kurz nach dem Start, kaum dass das Fahrwerk eingefahren sei, auf Autopilot. Mittlerweile wächst Figgen zufolge die Erkenntnis, dass die Piloten auch das „händische Fliegen“ trainieren müssen. Andererseits werden die Piloten viermal jährlich im Flugsimulator geschult. „Das ist sehr realistisch; Stress pur für die Piloten“, sagt Figgen. „Da wird alles simuliert.“
Was tun bei Druckabfall?
Trainiert wird auch ein plötzlicher Druckabfall. Der könnte, so die Vermutungen in Pilotenkreisen, dazu geführt haben, dass die Piloten der Germanwings-Maschine, die gerade die reguläre Reiseflughöhe von 38 000 Fuß, etwa 11 582 Meter, erreicht hatten, abrupt den Sinkflug einleiteten. Der Besatzung bleiben in dieser Höhe, bei einer Geschwindigkeit von 800 km/h etwa 30 bis 60 Sekunden bis zum Verlust des Bewusstseins. Bei einem Druckabfall versuchten die Piloten in der Regel, die Maschine auf eine Höhe zu bringen, in der sie wieder ohne Sauerstoffmaske selbstständig atmen konnten. Die Maschine müsse auf 4000 bis 3000 Meter sinken.
Wie sicher ist das Fliegen?
Fliegen ist jedoch nach wie vor sicher, betont Figgen. Im vergangenen Jahr, einem sehr schlechten für die Luftfahrt, habe es weltweit 970 Tote gegeben. Dagegen seien allein in Europa 25 000 Menschen im Straßenverkehr gestorben.
Wie sicher sind deutsche Linien?
Die letzte große Flugzeugkatastrophe einer deutschen Maschine habe sich vor mehr als 40 Jahren ereignet, als in Nairobi eine Maschine nach dem Start abstürzte, erinnert sich Figgen. 1993 seien zwei Menschen in Warschau gestorben, als eine Lufthansa-Maschine nach dem Abheben über die Landebahn hinausrutschte. Wenn es überhaupt zu Unfällen komme, dann während des Starts oder der Landung, so Figgen. Unglücke auf Reisehöhe seien höchst selten.