Wenn es im Urlaub in den Dolomiten um Leben und Tod geht, kommen die Rettungsflieger zum Einsatz – Protokoll eines Einsatzes
Gefährlich, nun ja.” Marco Kostner lächelt und denkt nach. Darüber, so scheint es, machen sich Piloten nicht so gerne Gedanken, besonders nicht, wenn sie Rettungshubschrauber steuern. Schon gar nicht bei den „Aiut Alpin Dolomites”, die rund um den Sellastock in Südtirol in einem Revier durch die Lüfte reiten, das besonders zerklüftet ist.
„Gefährlich ist das falsche Wort”, sagt er schließlich, „wir fliegen mit kalkuliertem Risiko. Kostner lädt sich ein paar Penne auf die Gabel. Es ist ein normaler Mittag in der Wintersaison, draußen fallen dicke Flocken und die fünfköpfige Rettungscrew hat sich in der Zentrale in Pontives zum Essen an den Tisch gesetzt.
Einen Stock tiefer wartet der feuerrote Rettungsheli im Hangar auf den nächsten Einsatz irgendwo zwischen Cortina d’Ampezzo und der Seiser Alm. Oben verteilt Ärztin Chiara Marchetti die Gläser, der Windenfahrer Moritz Peristi serviert die Vorspeise, Bergretter Manuel Mayrl und Hundeführer Max Amrain decken den Tisch. Oft wird der ruhigste Teil des Arbeitstages jäh unterbrochen, werden die Rettungsflieger angefunkt und sind drei Minuten später in der Luft. Spätestens.
Heute ist es ruhig. Marco Kostner schaut immer mal wieder hinaus. „Grenzwertig” sagt er. Dann erzählt er von den Risiken, die es zu kalkulieren gibt in ihrem Job. Natürlich die Sicht, natürlich der Wind, der an den zerklüfteten Dolomiten-Türmen gewaltige Turbulenzen auslösen kann. Aber am gefährlichsten sind alte Kabelstrecken von stillgelegten Seilbahnen.
Seit 1992 ist Kostner dabei, er hat weit über 6000 Flugstunden abgeflogen und einiges gesehen in dieser aktionsreichen Zeit. Das Team und er haben vielen geholfen, aber auch die Ohnmacht erlebt, wenn trotz aller Eile und Präzision jede Hilfe zu spät kommt. „Wenn dir ein Kind im Hubschrauber stirbt”, sagt er, „diese Bilder nimmst du abends mit nach Hause.”
Ansonsten wird alles routiniert erledigt: Im Winter sind das meist Skifahrer oder Snowboarder, deren Verletzungen zu schwer sind, um sie mit dem Schlitten zu Tal zu bringen, oder die, die extrem schnell Hilfe brauchen – etwa bei einem Herzinfarkt. Die Ärzte sind zumeist Intensivmediziner mit Anästhesie-Erfahrung. Natürlich fliegen sie auch, wenn jemand abseits der Pisten in Not gerät. Gedanken, dass sie für leichtsinnige Touristen ihr Leben riskieren, kennt das Team nicht. Dazu bleibt keine Zeit, alles muss passen.
An Bord sind in der Regel ein Windenführer, der den Bergretter bis zu 90 Meter an einem Stahlseil in die Tiefe ablassen kann, ein Arzt und im Winter ein Hundeführer mit Lawinenhund. Alle an Bord müssen zudem ausgebildete Bergsteiger sein, die sich in jedem Gelände sicher bewegen können.
Auszug aus einem Einsatzprotokoll: 9.32 Uhr: Alarm. 9.42: Ankunft am Dantercepies, Bergung eines schwer verletzten Skifahrers, Verdacht auf innere Blutungen. 9.47 Uhr: Abflug nach Bozen. 10.01 Uhr. Übergabe an die Klinik. 10.22 Uhr zurück im Stützpunkt. Routine. 50 Minuten nach dem Alarm ist alles vorbei. Schnelligkeit ist das Ziel, wobei Pistenrettung noch die einfachste Übung ist. Schwerer ist es, im Sommer verunglückte Bergsteiger aus Steilwänden zu bergen. Da muss der Pilot manchmal bis auf wenige Meter mit dem Rotor an den Fels manövrieren. Millimeterarbeit am Steuerknüppel, der immerhin 1630 PS dirigiert. Ob das Risiko kalkulierbar ist? Kostner lächelt. Und sagt nichts.
Man spürt, dass sie nicht so gerne über die Grenzfälle reden, obwohl es die in jedem Jahr gibt. Und Legenden: Im Sommer 1991 haben sie einen deutschen Touristen aus dem Marmolada-Gletscher geborgen, der leicht bekleidet und unangeseilt über den Gletscher abstieg und in eine 15 Meter tiefe Spalte rutschte. Die Bergung war kompliziert, der Mann steckte fest und es musste schnell gehen wegen der Kälte. Sie wollten ihn an seinem Gürtel aus dem Eis ziehen, aber der riss sofort. Schließlich gelang es den Rettern, den Touristen kopfüber an nur einem Bein angeseilt mit dem Heli aus der Spalte ziehen. Ein paar Minuten später wäre er erfroren.
Aber das sind Geschichten für die Chronik. Die Aiut-Crew berichtet lieber über die nackten Statistiken ihres Alltags. Die Zahlen für diesen Winter gibt es nach Ostern, in der vergangenen Wintersaison stieg der Hubschrauber 319 mal auf, mehr als die Hälfte der Bergungen waren Pistenopfer. Sechsmal mussten sie aber auch abseits ran und es gab zwei Lawineneinsätze. 312 Menschen wurden zwischen Cortina d’Ampezzo und der Seiser Alm geborgen, neun konnte nicht mehr geholfen werden. Wie viele von den anderen ohne die Rettungsflieger nicht überlebt hätten – darüber gibt es keine Zahlen.
In der Zentrale freut man sich aber über Dankeskarten von Bergopfern, die immer wieder im Briefkasten liegen, und die im Hangar an die Wand gepinnt werden. Wünschen würden sich die Retter, dass sich die Touristen das Risiko des Hochgebirges wenigstens bewusst machen würden. Aber noch gibt es viele, die sich in den Alpen aufführen wie in einem harmlosen Freizeitpark.
Und manchmal holt auch sie das Schicksal ein. Bis vor zwei Jahren hieß der Präsident der Aiut Alpin Dolomites Karl Unterkircher. Der Extremalpinist aus Wolkenstein starb am 15. Juli 2008 in einer Felsspalte am Nanga Parbat. Das Drama um ihn und seine zwei Begleiter ging um die ganze Welt. Und für ihn gab es keine Rettung mit dem Hubschrauber, obwohl es Spezialisten versuchten. Aber in solchen Höhen fliegen normale Helikopter schon lange nicht mehr und auch der Einsatz von Spezialmaschinen ist ab 7000 Meter Höhe reine Lotterie.
Noch ein starker Kaffee, dann räumt die Crew den Tisch leer, es geht auf zwei Uhr zu, es schneit immer heftiger und in drei Stunden wird es dunkel. Heute werden sie nicht mehr fliegen können. Marco Kostner kneift immer wieder die Augen zusammen und starrt durch die großen Fenster des Hangars ins Grau. Vielleicht geht’s ja doch noch rauf.