Ein neuer Trend erobert die Lieblingsinsel der Deutschen. Beim Coastering (Küstenklettern) auf Mallorca werden Touristen über steile Felswände zu Stellen geführt, die man sonst nie zu Gesicht bekäme. Das kann richtig anstrengend werden.
Can Picafort.
Der Weg ist das Ziel. Selten passt dieser Satz so gut. Und dieser Weg ist steinig. Seit Stunden tasten, klettern, krabbeln wir immer an der Felswand entlang. Über uns der gnädige, weil bewölkte Himmel. Unter uns Wasser, alle drei, vier Augenblicke donnernde Gischt. Um uns die watteweiche, leicht kalkig, salzig riechende, warme Luft, die Mallorca so einzigartig macht. Wenn sich die Hände nicht gerade in Felsritzen festklammern, zittern sie vor Anstrengung und vielleicht auch Angst: Denn Masio Vicenc hat nicht gerade die bequemste Strecke entlang der Küste der Halbinsel Victoria, hoch oben im Norden Mallorcas, gewählt.
Mit Absicht. Wer sich auf Coastering einlässt, im Prospekt als „originelle Wanderung irgendwie zwischen Land und Meer” beschrieben, der sollte nicht zimperlich sein. Und nicht bange.
Klettern ist auf Mallorca im Trend
Coastering (Küstenklettern) ist ein neuer Trend, Mallorca abseits der Strände und markierten Wanderwege zu entdecken. Obgleich Masio aus Can Picafort die Felsenkletterei mit Hotelgästen zwischen sechs und 76 seit vielen Jahren macht und sich rühmt, dessen Erfinder zu sein. Mittlerweile gibt es aber mehrere Veranstalter, die Coastering in Verbindung mit Abseilen, Canyoning (in Wasserfällen klettern) oder Caving (durch Höhlen klettern) anbieten.
Masio, ein drahtiger Mallorquiner, in seinem ersten Leben Forstmann und ein Naturbursche durch und durch, zieht die ursprüngliche Variante vor. Im Hochsommer schickt er seine Leute in Badezeug und ohne große Ausrüstung in ruppige Felsen, allenfalls ein T-Shirt schützt vor der brennenden Sonne. Im Herbst trägt man auch schon mal Neopren.
Nass wird man auf alle Fälle. Spätestens beim Überhang, der ist auf halber Strecke. Ein Überhang ist ein Felsen, den man nur überwinden kann, wenn man sein Körpergewicht mit der Kraft der Arme nach oben ziehen kann. Masio kann. „Kraft ist nicht alles. Technik ist wichtig – und das hier auch”, sagt er und tippt sich an die Stirn. Andreas schafft den Überhang – die übrigen zehn Teilnehmer winken ab.
Um die Mörderkante wird herum geschwommen
Bei uns Frauen passt das Verhältnis von Körpergewicht und Schulterbreite einfach nicht zusammen, und wir wollen auch nicht mit Bauch und Busen über die scharfen Kanten schrammen. Aber auch der zwölfjährige Luca, ebenso wie sein Vater Christian, Alex aus Luxemburg oder Julian aus Mönchengladbach breiten die Arme aus und lassen sich fallen. Platsch. Um die Mörderkante wird herumgeschwommen, dann kraxeln wir alle erleichtert aus dem Wasser.
Um zehn Uhr morgens hatte Masio uns alle mit zwei Großraumtaxen eingesammelt. Vorkenntnisse seien nicht erforderlich, erzählt er uns, während wir das schöne Alcudia und mehrere hübsche Urbanisationen auf der Halbinsel Victoria hinter uns lassen und auf einen Parkplatz einbiegen. Masio schaut sich die Leute allerdings schon an, bevor er sich auf das Kletterwagnis einlässt. Mit einer stark übergewichtigen Teilnehmerin, die sich telefonisch angemeldet hatte, ist er einen bequemen Strandweg gegangen, alles andere hätte er als fahrlässig erachtet.
Es ist toll, wenn man merkt, wie gelenkig man ist. Überall bietet der Felsen Eingriffe und kleine Trittstellen, nach ein paar hundert Metern macht das Klettern richtig Spaß, und Masio, der sich wie eine Gemse den Weg bahnt, ist stets da, wenn es darum geht, eine knifflige Stelle zu umsteigen.
Kleine Schnitte und brennende Oberschenkel
Langsam, langsam, lieber kleine Schritte als große, lieber gebückt als aufrecht, bitte nicht springen. Es gilt, den Weg ohne größere Blessuren zu meistern. Nach zwei, drei Stunden haben wir aber alle blutige Stellen, kleine Schnitte, die der Fels uns zugefügt hat. Und die Oberschenkel brennen, die Hände auch.
Masio hat Schikanen eingebaut. Einmal dürfen wir wählen, ob wir durch einen 60 Zentimeter breiten Tunnel kriechen oder unter einem Felsen hertauchen. Ich krieche.
Das Ende ist steil, es geht einen Berg hinauf, dann nass, aber glücklich die Landstraße hinunter bis zum Picknickplatz s’Illot. Am Schotterstrand legt Masio ein Tuch aus, deckt den „Tisch“. Ein weicher Rotwein. Sanfter, mallorquinischer Käse. Mit Olivenöl bestrichenes, ungesalzenes Brot, kräftige, fette Wurst und Fleischtomaten. Zerschunden wie wir sind, mit müden Armen und Beinen, aber stolz und froh, Dinge gesehen zu haben, die sonst kaum einer sieht – Schwalbennester, Seesterne, glitzernde Quarzadern, Salzkrusten, ausgebleichte, gestrandete Planken – schmeckt es uns noch mal so gut.