Am Freitag tritt Deutschland in Kiew gegen die Ukraine an. Auch sieben Monate vor EM-Beginn sorgt der Co-Gastgeber auf fast allen Gebieten für Negativschlagzeilen. Schienen, Straßen, Flughäfen, Stadien, Hotels – marode, im Bau oder nicht vorhanden.
München/Kiew.
Absperrband flattert matt im ukrainischen Herbstwind, Baukräne lehnen wie Stützpfeiler am neuen Fußball-Stadion in Lemberg. Düster, staubig, unvollendet wirkt das Ambiente. Drinnen tobt die bunte Eröffnungsfeier für die Arena, dumpf schallt die Reibeisenstimme der Rockröhre Anastacia durch die Betonwände bis in die Mondlandschaft davor. Auf den unfertigen Außenanlagen stehen zwei Feuerwehrautos bereit. Es brennt in der Ukraine. Sieben Monate vor Beginn der Fußball-EM kämpfen der Co-Gastgeber und die UEFA nach wie vor gegen zahlreiche Feuer. ‚Eingeflogen zum Noteinsatz‘ sei die Europäische Fußball-Union daher, berichtete das TV-Magazin Sport Inside nach einem Besuch des Landes in seiner Sendung am Montag: ‚Noch nie war die Austragung einer EM so gefährdet.‘
Als Feuerteufel gilt vor allem Lemberg, das Sorgenkind der EM-Organisatoren weihte als letzte der vier Ausrichterstädte vor einer Woche das neue Stadion ein. 220 Millionen Euro hat es gekostet – doch Teile des Daches und der Außenanlagen sind nach wie vor unvollendet. Die UEFA will das Turnier in dem politisch kriselnden Land auf Biegen und Brechen über die Bühne bringen, eine Blamage verhindern. Geld spielt dabei keine Rolle, die Kosten sind längst explodiert. Von neun Milliarden Euro ist die Rede, die WM 2010 in Südafrika kostete nur ein Drittel. Michel Platinis Drohungen, der Ukraine die EM-Ausrichterrolle zu entziehen, sind allerdings Schnee von gestern.
„Keine ernsthaften Probleme mehr“
‚Die Ukraine ist praktisch für die EM 2012 bereit. Es gibt keine ernsthaften Probleme mehr‘, sagte der UEFA-Präsident Ende September bei der Eröffnung des VIP-Terminals des Flughafens im EM-Spielort Charkow: ‚Das Terminal, das ich heute eröffnet habe, ist schön, das Stadion großartig.‘ 300 Millionen Euro soll ’schön‘ und ‚großartig‘ gekostet haben, bezahlt hat es der Oligarch Alexander Jaroslawski. Warum er das tat und – wie andere Oligarchen andernorts – für den korrupten und überforderten Staatsapparat in die Bresche sprang? Ganz einfach. ‚Ich will meiner Stadt und meiner Familie einfach mal großen Fußball zeigen‘, sagte der Besitzer des Erstligisten FC Metalist. Wenn auch Auswärtige nach Charkow kommen wollen, steht ihnen auf dem Weg in die zweitgrößte Stadt des Landes – wie auch bei der Reise in die anderen drei Spielorte Lemberg, Donezk und Kiew – eine Fahrt über Stock und Stein bevor.
Die einzige echte Autobahn des Landes führt von Kiew zum Flughafen der Hauptstadt, erbaut wurde das Stück 1972 anlässlich des Staatsbesuches des US-Präsidenten Richard Nixon. Mehr als 3500 Kilometer Straßen würden bis zur EM neu gebaut oder saniert, berichtete der stellvertretende Ministerpräsident und Verkehrsminister Boris Kolesnikow unlängst. Ob es sich dabei aber um echte Autobahnkilometer oder um ‚Straßen mit Autobahncharakter‘ (Kolesnikow) handelt, ist nicht ganz klar. Inwieweit die zehn Eisenbahnzüge, die die Ukraine in Südkorea gekauft hat, das Verkehrsproblem lösen können, ist ebenfalls ungewiss. Fragezeichen gibt es auch bei den Flughäfen.
„Es wird weniger Komfort für reiche Fans geben“
Wie ein ‚Kiosk‘ sehe der Airport in Donezk aus, witzelte der russische Staatspräsident Dmitri Medwedew beim Staatsbesuch Mitte Oktober. Kann sich ja noch bessern, die Anlage ist noch gar nicht fertig. Auch in Charkow fiel erst am Mittwoch der Startschuss zur letzten Ausbauphase. Den Betrieb aufnehmen sollen die vier Flughäfen erst Ende März 2012.
Ein kaum zu lösendes Problem scheinen die Hotels zu sein. In Kiew sollen bereits alle ausgebucht sein. Landesweit fehlen tausende Betten. ’70 bis 80 Hotels‘ sollen zur EM erbaut werden, sagte EM-Cheforganisator Kolesnikow vor einigen Tagen. Die genaue Anzahl? Nicht so wichtig, könne man ohnehin erst am 1. Mai 2012 nennen. ‚Es wird weniger Komfort für reiche Fans geben‘, weiß Kolesnikow immerhin: ‚Unglücklicherweise wird es unmöglich sein, alle zufriedenzustellen.‘
Die Pragmatiker von der UEFA empfehlen daher Campingplätze. ‚Jeder Fan, der nicht in der Ukraine ist, ist besser‘, urteilte Sport Inside. Das alles hielt die Tourismus-Experten des ‚Lonely Planet‘-Verlags aber nicht davon ab, die Ukraine in die Top Drei der Reiseziele für das Jahr 2012 aufzunehmen – hinter der Top-Destination Uganda (‚Löwen und Leoparden, Elefanten und Gorillas‘) und Myanmar (Burma). ‚Auch nicht ganz unumstritten‘, wie es in einer Rezension bei Spiegel Online heißt. (sid)