Ausstellung im Wiener Narrenturm ist für viele unerträglich
Abseits von Hofburg und Prater zeigt Wien Besuchern auch seine schaurigen Seiten. Im Narrenturm befindet sich das weltgrößte pathologische Museum – und das ist wahrlich nichts für schwache Nerven. Denn hier reihen sich konservierte Leichen an durch Krankheiten entstellte Körperteile und Organe.
Wien und der Tod – das sei eine ewige Liebe, sagt man. Die Todessehnsucht habe in Wien Heimatrecht. Da gibt es den Zentralfriedhof mit den Gräbern von Beethoven, Falco und drei Millionen anderen Toten. Da gibt es die Katakomben unter dem Stephansdom mit ihren aufgestapelten Pestgerippen. Und da gibt es die Kaisergruft, letzte Ruhestätte der Habsburger. Doch keine dieser Attraktionen hinterlässt einen so bleibenden Eindruck wie der Narrenturm mit seiner pathologisch-anatomischen Sammlung. Besucher seien gewarnt: Die Bilder aus diesem Turm werden sie so schnell nicht mehr los.
Der Narrenturm wurde 1784 – zu Lebzeiten Mozarts – fertig gestellt. Er ist ein runder, fünfstöckiger Zylinder mit 139 Zellen, in denen Geisteskranke festgekettet waren. Alle Gänge verlaufen im Kreis, so dass man den Drehwurm bekommt, wenn man sie zu schnell entlangläuft. Anstelle von Narren beherbergen die Zellen heute alle vorstellbaren und unvorstellbaren Monstrositäten. Der Narrenturm gilt als das größte und älteste pathologische Museum der Welt.
Man kann die etwa 50.000 Objekte grob in zwei Bereiche einteilen: in Spiritus eingelegte Leichen oder Leichenteile und wächserne Nachbildungen erkrankter Körperteile. In der Epoche vor Erfindung der Farbfotografie waren diese Modelle bei der Ausbildung junger Mediziner unerlässlich.
Konfrontiert mit den eigenen Ängsten
Die Anfertigung der sogenannten Moulagen war extrem teuer: „Eine Moulage herzustellen dauert 48 Stunden im Dauereinsatz“, erläutert Prof. Maria Teschler-Nicola, Direktorin der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, der die Sammlung seit 2012 angegliedert ist. Dementsprechend sind manche Moulagen – und mögen sie auch ein Vaginalkarzinom darstellen – wie Kunstwerke eingerahmt. 90 Prozent der Patienten sollen noch gelebt haben, als ihnen die Wachsabdrücke abgenommen wurden.
Es ist unmöglich, das Museum zu besuchen, ohne mit eigenen Ängsten vor Krankheit und Tod konfrontiert zu werden. „Primäreffekt der Syphilis am männlichen Geschlechtsteil“, steht auf einem alten Lehrposter, an dem sich gerade eine Schülergruppe entlang schiebt. Wegschauen kann man nicht, denn links und rechts sind weitere Unerträglichkeiten ausgestellt: Pestlunge, Aleppo-Beule, Tuberkulose des Fingers, Erfrierungen dritten Grades, Pockengesicht. Da wirkt doch die Körpersteinsammlung eines lang verblichenen Urologen fast schon putzig.
Ausgestopftes Mädchen aus dem 18. Jahrhundert
Eine makabere Geschichte verbirgt sich hinter den ausgestellten Pestkulturen: Sie waren 1897 von Wiener Medizinern zu Forschungszwecken aus Indien eingeführt worden. Durch Unvorsichtigkeit steckte sich ein Spitalsdiener bei einem Versuchs-Meerschweinchen an und infizierte auch gleich noch den Leiter der Expedition, Hermann Müller, der den eigenen qualvollen Krankheitsverlauf bis zum letzten Atemzug dokumentierte. Die insgesamt drei Pestopfer zu einer Zeit, als die Krankheit in Europa längst ausgerottet war, versetzten die ganze Stadt in Panik und Aufruhr. „Das ist Wien!“, seufzt Teschler-Nicola.
Bizarr ist auch der Totenschädel eines Teilnehmers der ersten Weltumseglung der österreichischen Kriegsmarine von 1858: Der Kopf wurde von seinen Kameraden angeblich aus dem Magen eines Haifisches geborgen. Zu den ältesten Stücken gehören der ausgestopfte Körper eines vierjährigen Mädchens, das 1750 an Hautinfektionen starb, sowie Bein- und Beckenknochen eines 2,40 Meter großen Türken, der sich 1683 an der Belagerung Wiens beteiligt hatte.
Köpfe und Hände schockieren am meisten
Das berühmteste Exponat, das jemals im Narrenturm aufbewahrt wurde, ruht nun schon seit 14 Jahren in den Anatomiegräbern des Wiener Zentralfriedhofs: Es war der abgetrennte Kopf des Sissi-Mörders Luigi Lucheni. Der Anarchist hatte der Kaiserin 1898 mit einer Feile ins Herz gestochen. Sein Gehirn sollte im Narrenturm untersucht werden, doch dazu kam es nie.
Die Feuchtpräparate sind nicht allgemein zugänglich, sondern nur nach vorheriger Anmeldung. „Wir haben immer im Hinterkopf, dass da eigentlich ein Mensch dahintersteckt“, erläutert Eduard Winter. Er ist der Verwalter der Sammlung, ein erstaunlich munterer junger Mann mit Spitzbart und weißem Kittel. Natürlich sei so ein Präparat auch „ein bisschen grauselig“, sagt er. Außer auf Köpfe reagieren Besucher vor allem auf Hände. „Hände schockieren extrem, weil man selbst ununterbrochen auf seine Hände schaut und jede Hand individuell ist“, sagt Winter. „Ich sage auch zu jedem Lehrer: Bitte drauf vorbereiten!“
Reise-Infos
Anreise: Mit Air Berlin (030/34343434, www.airberlin.com) oder Germanwings (01806/32 03 20, www.germanwings.com) ab Düsseldorf nach Wien.
Museum: Der Narrenturm in Wien ist mittwochs von 10 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet zwei Euro, jeweils zur vollen Stunde werden Führungen angeboten. Außerdem können außerhalb der festen Öffnungszeiten Führungen für Gruppen ab zwölf Personen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vereinbart werden. Bereits seit mehreren Jahren wird der Narrenturm bei laufendem Museumsbetrieb saniert. Danach soll auch die Sammlung völlig neu präsentiert werden.
Veranstalter: Tui (0511/56 78 01 05, www.tui.com) hat Hotels in Wien im Angebot. Unterkünfte sind auch über Wien Tourismus buchbar.
Kontakt: Wien Tourismus, 0043/12 45 55, www.wien.info
25.000 Besucher lieben den realen Horror
Ihn selbst belastet sein Arbeitsplatz nicht im Geringsten. „Im Gegenteil, für mich ist es aufbauend: Ich geh’ hier durch und denke: ‘Ein Glück, die Krankheit da, die kannst du heute auch nicht mehr bekommen!’“
Ähnlich dürfte auch zu erklären sein, warum sich überhaupt jedes Jahr 25.000 Menschen dem Horror dieses Museums aussetzen: Indem man die Entstellungen der Kranken betrachtet, vergewissert man sich der eigenen Normalität.
Am Ende posiert Winter mit der Moulage eines Lepragesichts fürs Foto. „Die Vorlage hierfür haben wir auch als Feuchtpräparat“, erläutert er seiner Chefin Teschler-Nicola. „Soll ich es Ihnen zeigen?“ Aber die Frau Professorin winkt ab: „Ach, lassen Sie mal.“ Genug ist genug.